Freitag, 27. Januar 2012

Über Wasserkämpfe die Demokratie der AKP verstehen...

Von Özgür Genç

In der Türkei offenbart der Kampf um Wasser sowohl den Aspekt der Kommodifizierung und Aneignung von Wasserressourcen mit dem Zweck, entsprechende Verwertungsmöglichkeiten zu schaffen, als auch die intoleranten und repressiven Praktiken der Regierung gegen oppositionelle Stimmen und deren demokratischen Kampf um Rechte. Ohne Zweifel: Die AKP ist der Motor neoliberaler Politiken geworden.

Seit dem Machtantritt der AKP drehen sich ihre Diskurse um Demokratie und Freiheit. Ihre Politiken stellt die AKP als Ausweitung der Demokratie dar, verbunden mit sozialen und bürgerlichen Rechten, und als einen Weg, das Land in den (neoliberalen) Globalisierungsprozess zu integrieren. Allerdings würde ein kurzer Blick in die Printmedien genügen, um zu verstehen, dass diese Demokratisierung nichts weiter ist als ein vager Diskurs, wenn man die gesetzlosen und repressiven Praktiken der Regierung in Rechnung stellt. In dieser Hinsicht ist es wichtig, die Wasserkämpfe in der Türkei mit Blick auf die Reaktionen der Regierung zu analysieren. So lässt sich eine Situation der »Belagerung« durch die Regierung auf unterschiedlichen Ebenen des Kampfes um Rechte erkennen. Mit anderen Worten, der Kampf um Wasser offenbart sowohl den Aspekt der Kommodifizierung und Aneignung von Wasserressourcen mit dem Zweck, entsprechende Verwertungsmöglichkeiten zu schaffen, als auch die intoleranten und repressiven Praktiken der Regierung gegen oppositionelle Stimmen und deren demokratischen Kampf um Rechte. Um zu begreifen, was für eine Demokratie die AKP vorantreibt, sind Kämpfe um die Ressource Wasser und gegen Wasserkraftwerke (türkisch: HES) ein anschauliches Thema der jüngeren Debatte.

Der Prozess des Baus von Wasserkraftwerken beschleunigt die Kapitalakkumulation durch die Inwertsetzung von Wasser als Energieressource mit dem Ziel, die Profite im Energiesektor in der Türkei zu steigern – nicht nur für das globale, auch für das einheimische Kapital. So überraschen diese Praktiken der Inwertsetzung nicht, gerade auch mit Blick auf die Versuche der AKP, sich in die Entwicklungen des globalen Kapitalismus zu integrieren. Man kann mit Recht behaupten, die AKP nehme eine bedeutende Rolle darin ein, die Türkei für den globalen Kapitalismus fit zu machen. Die AKP ist der Motor neoliberaler Politiken geworden, indem sie bei der Etablierung gesetzlicher Regelungen und passender Institutionen eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Inwertsetzung öffentlicher Güter und die Privatisierungsanstrengungen wurden durch die Regierung noch beschleunigt. Meist ignorierte die Regierung Forderungen aus der Bevölkerung ebenso wie kritische Stimmen in Bezug auf die Inwertsetzung öffentlicher Güter wie Bildung, Gesundheit und Wohnen, sowie die Privatisierung öffentlicher Unternehmen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Regierung, um günstige Voraussetzungen zu schaffen, permanent neue Verordnungen, Änderungen und umfassende Gesetze erlässt. Im Jahr 2003 brachte die Regierung eine Verordnung – die »Festlegung des Rechtes auf Wassernutzung« – ein. Diese Verordnung lässt sich als Wendepunkt bezeichnen, da sie die legale Basis für die Privatisierung der Gewässer legt. Zudem beschleunigt sie, zusammen mit anderen Regelungen, die Privatisierung der Energieversorgung und schafft so die Grundlage für die Etablierung eines Strommarktes in der Türkei.

»Die Segnungen Gottes in Energie verwandeln« - mit Staatsgewalt

Als Teil dieser Anstrengungen, in der Türkei den Markt für Energie auszubauen, wird das Nutzungsrecht an Flüssen privaten Unternehmen übertragen, indem zugleich die Notwendigkeit, Energie durch Wasserkraft zu produzieren, unterstrichen wird. Diese Abkommen über die Nutzungsrechte am Wasser umfassen nicht nur die Nutzung durch Wasserkraft für Energiezwecke, sondern beinhalten außerdem die Kontrolle der Unternehmen über die Flüsse selbst, einschließlich Trinkwassernutzung und Bodenbewässerung. Während eines Treffens mit VertreterInnen des privaten Sektors benannte der Minister für Wald und Wasserangelegenheiten, Veysel Eroğlu, die Ziele wie folgt: »Wir versuchen, dem durch ökonomisches Wachstum gestiegenen Energiebedarf gerecht zu werden, wollen aber zugleich die heimischen und erneuerbaren Quellen voll und ganz ausschöpfen. […] Deshalb sind die Abkommen über die Wassernutzungsrechte ein Meilenstein für unser Land«. Anschließend bestätigte Erdoğan diesen Ansatz der Regierung, indem er betonte: »Was wir hier versuchen, ist, unseren Energiebedarf durch neue, lokale und erneuerbare Energieressourcen zu decken, wie Wind und Wasserkraft. Mithilfe unternehmerischen Geistes verwandeln wir die Segnungen Gottes in Energie, in Produktion. Wie könnte das je gegen die Umwelt gerichtet sein?«.

Insgesamt ist der Bau von ungefähr 2.000 Wasserkraftwerken geplant, die meisten von ihnen an den Flüssen der Schwarzmeer-Region, da das Nutzungspotential der Flüsse dieser Gegend samt ihrer Täler sehr hoch ist. Die Menschen in den Dörfern entlang dieser Flüsse und das umliegende Ökosystem sind hochgradig abhängig von den Flüssen. Sie sind eine Lebensader für die lokale Bevölkerung, deren Lebensgrundlage unmittelbar betroffen ist. Folglich entstanden seit Beginn der Projekte Kämpfe vor Ort. Der Widerstand beginnt in Gebieten, wo Wasserkraftwerke geplant sind: Die Menschen harren Tag und Nacht auf einem Feld aus, um die Maschinen daran zu hindern, mit der Bautätigkeit zu beginnen. Allerdings erfahren sie dann nach kurzer Zeit gewaltsame Repression durch die Polizeikräfte, obwohl diese Gebiete unter der Hoheit der Gendarmerie stehen. Die Regierung treibt die Privatisierung und Kanalisierung der Flüsse so weit voran, dass – obwohl gegen die vom Umweltministerium erstellten »Berichte zur Umweltverträglichkeit« (türkisch: ÇED) bei den Gerichten mehrere Klagen eingingen und trotz der gerichtlichen Entscheidung, den Bau der Anlagen zu stoppen – der Bau fortgesetzt wird. Die Regierung ließ brüskiert verlautbaren, das Gericht verlangsame mit seiner Entscheidung wichtige anstehende Investitionen in die Wasserkraft. Die Reaktionen der Regierung sind nicht nur beleidigend gegenüber der Gerichtsentscheidung, sondern setzen darauf, weitere Klagen umgehend zu verhindern. Im Rahmen der durch das Referendum von 2010 eingeführten Verfassungsänderungen, findet sich eine kleine aber wichtige Änderung im Artikel 125, durch welche die Kompetenz, über die Zweckmäßigkeit der Maßnahmen und Durchführungen der Exekutive zu befinden, den Gerichten entzogen wurde (vgl. Artikel zum Verfassungsreferendum 2010 in diesem Infobrief). Dieser Artikel war praktisch die einzige Tür im gesetzlichen Rahmen, um den Bau von Wasserkraftwerken zu verhindern.

Kriminalisierung des Protests

Die unnachgiebige Haltung der Regierung hat sich auch während der Parlamentswahlen vom 12. Juni 2011 nicht geändert. Davor ebenso wie anschließend waren Protestierende mit dem Einsatz offener Gewalt durch die Polizei konfrontiert, während und nach den Protesten wurden mehrere Personen verhaftet. Einer der gewalttätigsten Zusammenstöße ereignete sich in Hopa, einer Kleinstadt am Schwarzen Meer, während Erdoğan die Stadt kurz vor den Wahlen besuchte. Die Proteste wurden durch einen Polizeieinsatz mit Tränengas beendet. Dies führte dazu, dass einer der Protestierenden, der Lehrer Metin Lokumcu, durch das Tränengas so schwer verletzt wurde, dass er an den Folgen dieses Angriffs durch die Polizei starb. Mehrere Protestierende wurden in Gewahrsam genommen und einige von ihnen direkt anschließend verhaftet. Es geht bei diesen Protesten nicht nur um die Gewalt der Polizei, sondern um die anschließenden systematischen Verhaftungen von Menschen direkt aus ihren Wohnungen heraus und um ihre Inhaftierung, solange die Prozesse gegen sie laufen. Die repressive Haltung der Regierung gegenüber dem demokratischen Recht auf Protest, sowie ihre Gleichgültigkeit im Anschluss an den »Vorfall« von Hopa – die Protestierenden wurden als ein Haufen Banditen gebrandmarkt – offenbart die Intoleranz der AKP sogar gegenüber in liberalen Demokratien verbrieften Grundrechten. Die Regierung hat offenbar keinerlei Absicht, oppositionellen Stimmen Gehör zu schenken, die ein Hindernis darstellen für das Ziel, den Energiemarkt weiter auszubauen.

Während der anschließenden Tage begannen verschiedene zivilgesellschaftliche Gruppen und Parteien, die das gewaltsame Vorgehen der Polizei verurteilten und die Kämpfe gegen die Wasserkraftwerke unterstützten, über die ganze Türkei hinweg Proteste zu organisieren. Diese Proteste endeten mit noch mehr Ingewahrsamnahmen, Verhaftungen und Verletzten. Dessen ungeachtet hielt die Regierung an ihrem feindlichen Diskurs gegenüber den Protestierenden fest und veranlasste Operationen im großen Umfang gegen Menschen, die an diesen Protesten teilgenommen hatten. Dutzende Personen, in der Mehrheit Studierende, wurden festgenommen, auf der Grundlage von »Beweisen« wie Fahnen, Bücher, Poster oder Postkarten in ihren Wohnungen, sogar ein bestimmter Haarschnitt wurde zum »Beweis«... Wenngleich die Protestierenden in diesem Fall nach fünf Monaten Gewahrsam entlassen wurden, bleibt dieser Prozess eine Erinnerung daran, wie die AKP-Regierung Gerichtsprozesse verschleppen lässt, an die Institutionen, derer sie sich bemächtigt, um die Opposition zu unterdrücken, und an die Art und Weise, in der sie oppositionelle Kräfte kriminalisiert.

Abschließend betrachtet lässt sich sagen, dass die jüngeren Transformationen in der Türkei sowie die gesetzlosen und willkürlichen Operationen der AKP den Ausgangspunkt dafür bilden, dass Natur kapitalistisch ausgebeutet wird, was sich am Fall der Wasserkraftwerke (HES) nachvollziehen lässt. Die HES-Projekte stehen für die beschleunigte Inwertsetzung von Natur in der Türkei. Einerseits gelang es der AKP, ihre Zwangsmittel entsprechend auszubauen, andererseits auch weiterhin Gelegenheiten zu schaffen, über natürliche Ressourcen Kapital zu akkumulieren und einen ertragreichen Energiemarkt zu etablieren. Sowohl durch ihre Rhetorik als auch mithilfe von Gesetzesreformen reorganisiert die AKP die neoliberale Transformation in der Türkei. Zu diesem Zweck greift die Regierung sogar zu dem Mittel, diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen zu widersprechen und schließlich grundlegende Gesetze zu ändern.