Seit mehr als drei
Wochen wird die syrische Stadt Kobanê von schwer bewaffneten Milizen des
»Islamischen Staats« (IS) belagert. Die Verteidigungseinheiten der Bevölkerung
Kobanês haben trotz hoffnungslos erscheinender militärischer Unterlegenheit
lange Zeit ein Eindringen des IS verhindern können. Nun finden offenbar
erbitterte Häuserkämpfe statt. Zu befürchten ist ein weiteres Massaker des IS. Die
Lage ist dringlich und zugleich komplex, denn der Kampf um Kobanê ist auch
einer um die angemessenen Mittel internationaler Solidarität.
In ganz Europa finden
Solidaritätskundgebungen für Kobanê statt. Doch welche praktische Form soll die
Solidarität annehmen? Einige Bundestagsabgeordnete der Linken fordern entgegen
der nach wie vor bestehenden Ablehnung von Militäreinsätzen durch die Partei
einen internationalen Einsatz mit UNO-Mandat. Nach dem Vorpreschen der
Linken-Abgeordneten stellt sich der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland
wieder einmal die grundsätzliche Frage, wie sie sich gegenüber internationalen
Militäreinsätzen positionieren soll.
Währenddessen wandte
sich der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mit einem Appell an alle, die die
Mittel dazu hätten, zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kobanê zu handeln. Gegenwärtig
stellt sich nicht nur die Frage, wer einem solchen Appell nachkommen kann,
sondern auch, wie berechtigt die Hoffnung auf einen internationalen Einsatz
ist, der vordringlich dem Schutz der Zivilbevölkerung und nicht anderen
Interessen dient. Unter dem Eindruck eines sich ausbreitenden Flächenbrands gilt
höchste Vorsicht, nicht gerade jene als Feuerwehr zur Hilfe zu rufen, die
zuerst den Brand gelegt und dann noch Öl hinterher gegossen haben.
Kobanês
falsche Freunde
Grundlegende Zweifel
sind hinsichtlich des offenbar geplanten Einsatzes von türkischen Bodentruppen
angebracht. Vermutlich handelt es sich um einen international umstrittenen Plan,
zuletzt erklärte Frankreich seine Unterstützung für die Einrichtung einer
Pufferzone durch die Türkei, während Großbritannien und die USA diesen Plan
zumindest öffentlich ablehnten. Fest steht, ein solcher Plan macht den Bock zum Gärtner. Auffallend ist
auch die Wandlung des Meinungsbilds hierzulande. Noch vor wenigen Wochen wurde
von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Medien- und Parteienöffentlichkeit
die Auffassung geteilt, die Türkei betreibe die aktive Unterstützung
islamistischer Milizen. Ziemlich plötzlich wird die Türkei nun kaum noch
beschuldigt, aktive Kriegspartei zugunsten von Islamisten zu sein, sondern als
vorsichtige Beobachterin thematisiert, der allenfalls (falsche) Zurückhaltung
oder Unfähigkeit vorgeworfen wird. Sie lasse zwar schweres Kriegsgerät im
Grenzgebiet auffahren, greife aber nicht ein.
Tatsächlich sind es nicht nur die Berichterstatter, die ein
solidarisches Einschreiten der Türkei erwägen.
Bis vor kurzem scheinen auch kurdische Politiker, die mit der türkischen
Regierung verhandelten, diese Erwartung gehegt zu haben. So eindeutig das
Meinungsbild auf den Solidaritätskundgebungen mit Kobanê bezüglich der Unterstützung
von militanten Islamisten durch die Türkei ist, hinter den Kulissen schien
diese Eindeutigkeit nicht vorhanden. So erklärte der Co-Vorsitzende der syrisch-kurdischen
»Partei der Demokratischen Union« PYD, Salih Müslim, er habe kürzlich in
Gesprächen mit der Türkei das Versprechen erhalten, dass diese einen Korridor
entlang der syrisch-türkischen Grenze öffnen werde, um Hilfe für die belagerte
Stadt aus weiter östlich liegenden syrisch-kurdischen Gebieten zu ermöglichen. Demselben
Versprechen vertrauend verzichtete offenbar die kurdische Bewegung in der
Türkei auf eine Massenmobilisierung und erklärte unbeirrt ihre Verbundenheit
gegenüber den sogenannten Friedensverhandlungen mit der türkischen Regierung.
Im Ergebnis verstrich jedoch wertvolle Zeit, die Belagerung der Stadt zog sich
immer enger, während der Korridor ein leeres Versprechen blieb.
Seit nun klar ist, dass
die Türkei keinesfalls gewillt ist, zugunsten Kobanês einzugreifen, hat die
kurdische Bewegung die Friedensverhandlungen für gescheitert erklärt. Sie mobilisiert
gemeinsam mit linken Organisationen Hunderttausende auf die Straße und fordert
die Regierung auf, die Grenze nach Kobanê für Freiwillige zu öffnen sowie
medizinische und logistische Hilfestellungen für die Stadt zuzulassen. In den
zurückliegenden Wochen verhinderte die Regierung mittels Militäreinsätzen gegen
die an der Grenze tagein tagaus wachehaltende Bevölkerung solche Hilfestellungen.
Auf die jetzigen Massenproteste reagierte die Regierung mit massiver
Polizeigewalt unterstützt von bewaffneten islamistisch-nationalistischen
Banden. Über mehrere Provinzen wurden zum ersten Mal seit über zehn Jahren Ausgangssperren
verhängt. An einem einzigen Tag wurden Hunderte Protestierende verletzt und über
ein Dutzend getötet.
Sicherlich kann es nicht
der kurdischen Bewegung angelastet werden, dass sie bis zuletzt eine
bürgerkriegsähnliche Eskalation in der Türkei, die absehbar mit einem Platzen
der sogenannten Friedensverhandlungen einhergehen würde, zu verhindern versucht
hat. Nicht die kurdische Bewegung sondern die türkische Regierung ist
verantwortlich für die kriegerische Zuspitzung der Konflikte im eigenen,
inzwischen auch in benachbarten Ländern. Nichtsdestotrotz stellt sich die
Frage, warum immer wieder derartige Unschlüssigkeit über die Absichten der türkischen
Regierung aufkommen kann. Entgegen möglicher Versprechen hinter verschlossenen
Türen oder auch öffentlichen Lippenbekenntnissen des Ministerpräsidenten Ahmet
Davutoğlu, man werde nicht zulassen, dass Kobanê falle, hätte allein die aktive
Verhinderung von Hilfestellungen durch die Türkei ausreichen müssen, um Zweifel
an der tatsächlichen Position der türkischen Regierung zu beseitigen.
Warum
wird Rojava angefeindet?
Darüberhinaus stellte
die Annahme, die Türkei könne ein eigenes Interesse daran haben, zugunsten der
Bevölkerung Kobanês gegen den IS einzugreifen, den gesamten Charakter der Entwicklungen
in den letzten Jahren auf den Kopf. So ist die scharfe Frontstellung der Türkei
gegenüber Rojava aufs engste mit ihren strategischen Zielen und der politischen
Ausrichtung Rojavas verknüpft. Eine kursorische Rekapitulation der Hintergründe
dieser Frontstellung mag an dieser Stelle genügen.
Ungefähr ein Jahr nach
Beginn der Demonstrationen gegen die syrische Regierung begann die PYD
offiziell autonome Verwaltungsstrukturen in den vorwiegend kurdisch besiedelten
Gebieten Nord-Syriens genannt Rojava (Westkurdistan) aufzubauen sowie Selbstverteidigungskräfte
(YPG/YPJ) aus der Bevölkerung zusammenzustellen. Bereits zuvor tat sich die PYD
durch ihr unabhängiges Agieren gegenüber der syrischen Opposition hervor. Als
letztere sich in der Türkei organisierte, mit westlicher Unterstützung den bewaffneten
Kampf gegen das Regime aufnahm und eine militärische Intervention forderte, sprach
sich die PYD gegen eine solche Intervention von außen aus und betonte, dass ein
demokratisches Syrien nur das gemeinsame Werk aller SyrerInnen sein könne.
Unter Führung der PYD wurden
in drei Regionen (Afrin, Kobanê und Cizirê) demokratische Rätestrukturen
aufgebaut, die Kantone genannt werden. Die Verwaltungseinheiten, so auch die
Selbstverteidigungskräfte, sind charakterisiert durch Geschlechterquoten und
Repräsentation von Bevölkerungsgruppen entlang ethnischer beziehungsweise
religiöser Zugehörigkeit (kurdisch, arabisch, assyrisch-christlich). Dorf-,
Stadtteil-, Stadt- und Regionalräte sollen eine hohe Beteiligung der
Bevölkerung an Entscheidungsfindungen sicherstellen. Demokratische
Preiskontrolle, rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit und kostenlose Schulbildung in
der jeweiligen Muttersprache sind weitere Kennzeichen der demokratischen
Autonomie in Rojava. Unter äußerst widrigen Bedingungen wurde dazu
übergegangen, die Versorgung der Bevölkerung auf der Grundlage von
Produktionsgenossenschaften zu organisieren.
Die Bevölkerung in
Rojava lehnte nicht nur eine militärische Intervention in Syrien von außen ab.
In Verhandlungen mit der syrischen Opposition bestand sie auch auf einer
Autonomie der kurdischen Region in einem möglichen zukünftigen Syrien. Die anfangs
überwiegend arabisch-nationalistische syrische Opposition lehnte beide
Forderungen kategorisch ab. Die VertreterInnen Rojavas wurden von der Opposition
und der sogenannten »Gruppe der Freunde Syriens« international isoliert. Diese Isolation
wurde begleitet von einem Wirtschaftsembargo, das von der Türkei und der
Regierung der Autonomen Region Kurdistan (KRG) im Irak umgesetzt wurde.
Die türkische Regierung
erklärte, sie werde das „terroristische Gebilde“ an ihrer Grenze, das sie als
identisch mit der PKK ansah, nicht dulden. Die Rivalität KRG-naher aber in
Rojava gesellschaftlich schwach verankerter Parteien mit der führenden Partei
YPG führte dagegen zum Bruch der Beziehungen mit dem irakischen Kurdistan.
Seitdem versucht die KRG gemeinsam mit der Türkei mit allen Mitteln, Rojava zu
schwächen. Selbst die Lieferung dringend benötigter Arzneimittel wurde zwischenzeitlich
verhindert. Während Rojava den Angriffen islamistischer Milizen ausgesetzt war,
ließ die KRG an ihrer Grenze zu Rojava einen Graben ausheben, um die Kontrolle
zu verstärken.
Bereits früh formierte
sich also ein Bündnis gegen Rojava, das durch Angriffe islamistischer Gruppen
verstärkt wurde, die maßgeblich von Saudi Arabien, Katar und der Türkei unterstützt
wurden, wie vor kurzem auch die etablierten Medien noch berichteten. Während islamistische
Krieger ungehindert über die syrisch-türkische Grenze hin und her reisen
konnten, wurde Flüchtlingen aus Rojava an den Grenzen zur Türkei und zum
Nordirak die Einreise verweigert. Die Strategie war klar: Rojava sollte mit
allen Mitteln ausgehungert werden.
Zerschlagung
der demokratischen Autonomie
Wie lässt sich dieses
äußerst aggressive Vorgehen erklären? Für die türkische Regierung stellt Rojava
eine mehrfache Gefahr dar. Das Autonomiemodell Rojava fungiert als Vorbild für
die kurdische Bevölkerung in der Türkei. Die Kantone haben erklärt, dass die
natürlichen Ressourcen in Rojava kollektives Eigentum bleiben und mögliche
Einnahmen zugunsten der gesamten Bevölkerung einzusetzen seien. Die
Rätestrukturen, die auf Gleichheit basierenden Organisierungsprinzipien und die
Kollektivierung von Eigentum stehen dem konfessionellen Konservatismus der AKP
und der von ihr forcierten neoliberalen Privatisierungspolitik diametral
entgegen. Desweiteren bildet Rojava ein Hindernis für expansionistische
Ambitionen der Türkei, ihren Einfluss auf die Region auszudehnen. Die
strategisch-ökonomische Ausrichtung der Türkei steht insgesamt in einem
unübersehbaren Widerspruch zum Projekt Rojava.
De facto widerspricht
also die gesamte Vorgeschichte des Konflikts der Erwartung, die
syrisch-kurdische Bevölkerung könnte Unterstützung von der Türkei erhalten. Ähnlich
verhält es sich in Bezug auf die Regierung der Autonomen Region Kurdistan
(KRG). Genossenschaftliche Produktionseinheiten, eine progressive
Geschlechterpolitik, demokratische Rätestrukturen in Rojava stehen der
Gesamtausrichtung des von der Öl-Rente existierenden Quasistaats im Irak - allen
Lippenbekenntnissen in der derzeitigen Lage zum trotz - entgegen.
Für den IS haben Rojava
und Kobanê dagegen eine strategische Bedeutung. Wenn Kobanê in die Hände des IS
fällt, wird es umso leichter, Kämpfer aus der Türkei zu rekrutieren und Waffen
sowie andere Güter zu schmuggeln. Geographisch gesehen ist Kobanê das mittlere
der drei Kantone. Die anderen beiden Kantone wären ohne Kobanê gänzlich voneinander
abgekoppelt und ihre Verteidigung gegen weitere Angriffe des IS würde schwerer
fallen.
Die Türkei versucht nun,
diese Lage auszunutzen und den Angriff des IS zu instrumentalisieren, um Rojava
zur Aufgabe zu zwingen und um ihr eigenes internationales Gewicht zu erhöhen. Entlarvend
ist die von Davutoğlu öffentlich aufgestellte Bedingung gegenüber den USA,
einen Einsatz mit Bodentruppen gegen den IS nur dann zu unterstützen, wenn das
Ziel im Sturz der syrischen Regierung besteht. Offener konnte er nicht sagen,
dass der Vormarsch des IS und das Morden an der syrischen Bevölkerung in
Sichtweite der türkischen Grenze keine Motivation zum Eingreifen darstellen. Nun
bewahrheitet sich der Inhalt des kürzlich vom türkischen Parlament
verabschiedeten Kriegsmandats. Darin werden die PKK - für die türkische Regierung
identisch mit Rojava - und der IS in einem Atemzug als terroristische
Organisationen genannt. Vor die Wahl zwischen der PKK beziehungsweise Rojava
und dem IS gestellt, fällt die Entscheidung der türkischen Regierung deutlich
aus.
Internationale
Solidarität
Die Türkei und die Regierung
der Autonomen Region Kurdistan haben Rojava isoliert und gezielt geschwächt.
Damit haben sie Rojava wie bereits zuvor den Angriffen anderer islamistischer
Milizen nun auch den Angriffen des IS bewusst ausgesetzt. Dass ausgerechnet
jene Kräfte nun zur Hilfe eilen sollen, die auf diese Situation hingewirkt
haben, ist absurd.
Ohne Verzicht auf ihre
Errungenschaften hat die Bevölkerung in Rojava auch von anderen Staaten keine
substantielle Hilfestellung zu erwarten. Dass die Zerschlagung Rojavas
angesichts der ziemlich verfahrenen Lage im Nahen Osten derzeit ein prioritäres
Ziel der USA darstellt, ist zwar zweifelhaft. Dennoch sind die USA sicherlich
keine Freunde von Rojava, das sich allen Instrumentalisierungsversuchen zum
Sturz der syrischen Regierung entzog. Prinzipiell ist davon auszugehen, dass
ein räte-demokratisches Projekt mit anti-kapitalistischem Potential die Motivation
der USA eher mindert, dieses vor irgendwelchen Angriffen zu schützen. Einzig
die Einbindung in eine Allianz gegen den IS könnte zwischenzeitlich einen Grund
zur Unterstützung liefern. Dieser Grund allein scheint jedoch zu schwach, um
sich gegen die besonderen Interessen der US-amerikanischen Verbündeten in der
Region - die Türkei und die Autonome Region Kurdistan im Irak - durchzusetzen. Die
Situation, dass ein Mitglied der NATO gegen die Interessen eines anderen
Mitglieds an dessen Grenze zugunsten Rojavas einschreiten könnte, ist schwer vorstellbar.
Die strategische Partnerschaft zwischen dem Westen und der KRG, die kürzlich erst
ausgebaut wurde, schwächen zusätzlich die Hoffnung für die Bevölkerung Rojavas,
für ihre Rettung könnten humanitäre Gründe zum Tragen kommen.
Realistisch ist, dass die
Verteidigung Rojavas weiterhin hauptsächlich durch die Bevölkerung und die
Selbstverteidigungskräfte geleistet werden muss. Direkte Unterstützung erhalten
sie von der PKK, der kurdischen Bevölkerung sowie einer zahlenmäßig bislang
relativ kleinen aber entschlossenen linken Bevölkerung in der Türkei. Eine
breite Mobilisierung in der Türkei könnte erwirken, dass der Preis für die
Zerschlagung Rojavas für die AKP innenpolitisch zu hoch wird und sie sich zu
Konzessionen genötigt sieht. Die Eröffnung eines Korridors für die
Unterstützung von Kobanê und die Aufhebung des Embargos durch die Türkei als
auch durch die KRG wären zu erreichen. Die Verhängung von Ausgangssperren, der
Aufmarsch des Militärs in vielen Städten, auch in Istanbul, die Erschießung von
Demonstranten sowie die Mobilisierung bewaffneter faschistischer Milizen zeigen
jedoch bereits jetzt, dass die türkische Regierung bis zum Äußersten gehen
wird.
Dagegen kann die
Bedeutung Rojavas für die Perspektiven einer internationalistischen Linken
gerade nach den reihenweise gescheiterten Aufständen in Nord-Afrika und dem
Nahen Osten nicht als groß genug eingeschätzt werden. Die räte-demokratischen
Kantone zeigen der gesamten Bevölkerung im Nahen Osten die Möglichkeit auf,
dass eine friedliche, demokratische und an sozialer Gerechtigkeit orientierte
Selbstverwaltung über kulturelle Differenzen hinweg aufgebaut werden kann.
Rojava bildet somit ein Gegenmodell zur ethnischen und konfessionellen Polarisierung
in der gesamten Region. Dass ein solches Modell bisher allein durch
Selbstverteidigungskräfte, also ohne imperialistische Protektion geschützt
werden konnte, stellt eine Besonderheit dar. Nun zeigt sich jedoch, dass ohne
internationale Solidarität die Existenz Rojavas nicht gesichert werden kann.
Doch welche Solidarität
lässt sich von hier aus üben? Eine Auseinandersetzung mit der Forderung einiger
Linken-Abgeordneten nach einem militärischen Einsatz ausgestattet mit einem
UNO-Mandat ist geboten. Angesichts manifester Differenzen im Sicherheitsrat erscheint
diese Forderung allerdings als bloße Symbolpolitik. Da ein solches Mandat wohl
kaum zustande kommen wird, hat die Forderung lediglich zum Ergebnis, dass ein
zweites Mal ein friedenspolitischer Grundsatz der Partei verletzt wird. Der
äußerst kurze Abstand zu Gregor Gysis Vorstoß für eine „ausnahmsweise“
Waffenlieferung in eine Konfliktregion macht deutlich, in welch kurzer Zeit die
Ausnahmen zur Regel werden können.
Auch die erhobenen
Forderungen von Waffenlieferungen nach Rojava garantieren gerade aus einer friedenspolitisch
informierten Perspektive keine Solidarität mit Rojava. Zweifelsohne, die Forderungen
aus Rojava selbst nach militärischer Hilfe angesichts eines Kriegs, bei dem es
um alles oder nichts geht, sind nachvollziehbar und legitim. Das Problem einer
friedenspolitischen Positionierung in Deutschland stellt sich jedoch anders.
Kann die deutsche Linke garantieren, dass der von ihr eröffnete
Legitimationskorridor für (deutsche oder auch nicht-deutsche) Kriegseinsätze
und Waffenlieferungen, den „richtigen“ Zwecken dienen wird? Da die Kräfteverhältnisse
in Deutschland dies nicht einmal ansatzweise zulassen, die deutsche Linke nicht
über die Macht verfügt, Einsätze und Waffenlieferungen kontrollieren zu können,
muss die Antwort „Nein“ lauten.
Die jüngste Erfahrung
nach Gysis Vorstoß bestätigt diese Befürchtung, dass der Linken lediglich die
Funktion einer Legitimationsbeschafferin zukommt. Als im irakischen Sindschar-Gebirge
die jezidische Bevölkerung einem Massaker durch den IS entgegenblickte, wurde
sie von den Peschmerga der KRG schutzlos zurückgelassen. Die zur Hilfe eilenden
Kräfte aus Rojava und die der PKK waren dagegen diejenigen, die wie oben
bereits erwähnt in ihrem Kampf gegen islamistische Milizen von der KRG seit langer
Zeit aktiv geschwächt wurden. Obwohl diese unsägliche Rolle der KRG offen liegt,
wurde sie zur Retterin stilisiert und ihr unter Verletzung der UN-Charta
deutsche Waffen geliefert. Während die KRG sich somit in ihrer Politik auch
gegenüber Rojava bestätigt und bekräftigt sieht, kann niemand garantieren, dass
sich die neuen Waffen in Zukunft nicht sogar gegen das als feindlich
wahrgenommene Rojava oder die PKK richten werden.
Anstatt sich also für
Kriegseinsätze und Waffenlieferungen einzusetzen, auf deren tatsächliche
Umsetzung und Bindung kein entscheidender Einfluss ausgeübt werden kann, könnte
sich die deutsche Linke, nicht nur die Partei, in der jetzigen Situation dafür
stark machen, dass die Machenschaften des NATO-Mitglieds Türkei als das
offengelegt werden, was sie sind: Eine bewusste Auslieferung der Bevölkerung
Rojavas in die Hände des IS. Zentrale Forderungen aus Rojava und der Türkei könnten
ohne in kriegspolitische Fallstricke zu tappen, übernommen werden. So haben die
Einheiten YPG/YPJ auch erklärt, dass sie zusammen mit der PKK die Verteidigung
Rojavas selbst leisten können. Die Türkei müsste diesen Einheiten nur einen
Korridor auf ihrem Territorium für militärischen Nachschub und logistische
Versorgung öffnen und die faktische Unterstützung des IS unterlassen. Diese
Forderung möglichst laut zu stellen, ist nun notwendig. Die deutsche Regierung
muss unter Druck gesetzt werden, damit sie ihrem NATO-Partner Türkei Druck
macht. Ein militärisches Eingreifen der Türkei gilt es dagegen deutlich abzulehnen.
Weitergehend werden
derzeit hunderttausende Protestierende in der Türkei mit massiven Polizei- und
Militäreinsätzen, die die Gewaltorgien des Juni-Aufstands noch überbieten, niedergeschlagen.
Die verhängte Ausgangssperre bedeutet die Aufhebung von Bürgerrechten. Sich für
eine sofortige Aufhebung dieses Ausnahmezustands stark zu machen, weitere Morde
zu verhindern und die Aufklärung der bereits begangenen Morde zu fordern, ist
jetzt eine dringende Aufgabe internationaler Solidarität.