Die vielen Unkenrufe, die den schnellen Fall der
Stadt Kobanê verkündeten, wurden widerlegt. Die Ausweitung der Hilfestellung und
die angekündigte Öffnung türkischen Staatsgebiets für Peschmerga aus dem
irakischen Kurdistan scheinen eine Wende darzustellen. Haben Appelle an die USA
und andere Kräfte, sich verstärkt für die Verteidigung von Rojava einzusetzen, gefruchtet? Wird Rojava nun in
die Anti-IS-Koalition eingebunden?
Seit über sechs Wochen halten die
Verteidigungskräfte ihre Stellungen, allerdings ohne eine entscheidende Wende herbeiführen
zu können. Unterstützt werden sie durch Bombardements und inzwischen auch einen
Waffenabwurf der US-Luftwaffe. Die Waffen sollen aus dem irakischen Kurdistan
stammen, wo nach neun-tägigen Verhandlungen in der Stadt Dohuk kurdische Vertreter
Rojavas mit denen des irakischen Kurdistan übereingekommen seien, künftig zu
kooperieren. Seitdem ist die Rede von der Entsendung schwer bewaffneter
Peschmerga, die über türkisches Staatsgebiet nach Kobanê gelangen sollen.
In dem Beitrag
über den Kampf um Kobanê
hatten wir argumentiert, dass die Bevölkerung Rojavas ohne Verzicht auf ihre
Errungenschaften keine substantielle Hilfestellung von anderen Staaten zu
erwarten hat. Das Ziel der Türkei sahen wir in der Zerschlagung des Projekts
Rojava. Ein Einschreiten der USA zugunsten Rojavas gegen die Interessen des
NATO-Partners Türkei hielten wir - selbst
in Erwägung einer begrenzten Kooperation zwischen den USA und Rojava mit dem
Ziel der Bekämpfung des Islamischen Staats (IS) - für schwer vorstellbar. Die
kürzlich ausgebaute strategische Partnerschaft zwischen dem Westen und der kurdischen
Regierung im Irak unterstrich diese Skepsis, die wir mit Verweis auf
grundlegende Gegensätze zwischen Rojava und den anderen Akteuren untermauerten.
Den Forderungen aus
der deutschen Linken nach einem internationalen Kriegseinsatz und Waffenlieferungen
erteilten wir eine Absage und begründeten dies mit den Kräfteverhältnissen in
Deutschland, die keinen entscheidenden Einfluss von Linken auf die tatsächliche
Bindung und Umsetzung solcher Vorhaben zulassen. Die Erfahrung mit der
deutschen Militärhilfe für das irakische Kurdistan - einem Hauptfeind des
demokratischen Projekts in Rojava - bestätigte die Befürchtung, dass Linken lediglich
die Rolle einer nützlichen aber ohnmächtigen und mangelhaft informierten Legitimationsbeschafferin
deutscher Interventionspolitik zukommt.
Die jüngeren Ereignisse machen nun eine Überprüfung
dieser Thesen notwendig. Die Ausweitung der Hilfestellung und die angekündigte Öffnung
türkischen Staatsgebiets für Peschmerga aus dem irakischen Kurdistan scheinen
eine Wende darzustellen. Haben Appelle an die USA und andere Kräfte, sich
verstärkt für die Verteidigung von Rojava einzusetzen, gefruchtet? Wird Rojava nun in
die Anti-IS-Koalition eingebunden? Und worüber haben die kurdischen Parteien in
Dohuk eigentlich so lange verhandelt?
Koordinierte
Hilfe für Kobanê
Zunächst sei knapp an die grundlegenden Gegensätze
zwischen den Akteuren erinnert. Sie prallen in der politisch-ökonomischen
Ausrichtung Rojavas aufeinander. Zwar befindet sich der politische Umbruch in
Rojava noch am Anfang und der Ausblick auf eine soziale Umwälzung, die die
Produktions- und Eigentumsverhältnisse einbezieht, ist vage. Die föderale Verfassung
mit kantonaler Selbstverwaltung und basis-nahen demokratischen
Entscheidungsprozessen, die an Gleichstellung orientierten
Organisierungsprinzipien (multi-ethnisch, geschlechterquotiert) sowie die deklarierte
Kollektivierung von Ressourcen bilden jedoch schon jetzt ein klares Gegenmodell zur
Konfessionalisierung und Militarisierung sozialer Konflikte im gesamten
nahöstlichen Raum.
Im
Einzelnen steht das Projekt dem sunnitischen Konservatismus, der Privatisierungspolitik
und den Expansionszielen der türkischen Regierung entgegen, die befürchten
muss, dass die Praxis der kantonalen Selbstverwaltung auch auf die Türkei
ausstrahlen wird. Aus ähnlichen Gründen widerspricht Rojava dem zentralistisch
und kurdisch-nationalistisch ausgerichteten irakischen Kurdistan, dessen
Prioritätensetzung gleich nach der militärischen Eroberung Mossuls durch den IS
deutlich wurde. Der langjährige Juniorpartner der USA nutzte den Rückzug der
irakischen Armee, um mit seiner schwer bewaffneten und 200.000 Mann starken Peschmerga-Armee
die erdölreiche Region Kirkuk zu besetzen. Als wenig später die jesidische
Bevölkerung im erdöllosen Sindschar-Gebirge einem sich ankündigenden Massaker durch
den IS entgegenblickte, wurde sie von den Peschmerga schutzlos zurückgelassen.
Schließlich kollidiert Rojava mit übergeordneten Zielen der USA, die die
syrische Regierung stürzen und in diesem Zuge Russland aus der Region
vertreiben und den Iran eindämmen wollen. Das demokratische und soziale Projekt
in Rojava hat sich nicht der US-favorisierten syrischen Opposition und der
Freien Syrischen Armee (FSA) untergeordnet und sich nicht für den gewaltsamen Sturz
der syrischen Regierung instrumentalisieren lassen.
Wie
lässt sich nun vor diesem Hintergrund die Ausweitung der Hilfen für Kobanê erklären?
Die Intensivierung der Bombardements durch die USA bildet auf den ersten Blick
eine strategische Wende in der Kriegsführung. Die USA verlautbarten zunächst, dass
sie Kobanê keine besondere Bedeutung beimessen, weshalb sie der Vormarsch des
IS nicht interessiere. Nach Angaben der Selbstverteidigungskräfte Rojavas (YPG/YPJ)
wäre es effektiv gewesen, Stellungen des IS im offenen Land zu bombardieren, um
den Vormarsch schweren Kriegsgeräts frühzeitig zu stoppen. Als der IS die Stadt
nach über zwei Wochen erreichte, fiel Kobanê weiterhin nicht. Allein die
YPG/YPJ vermochten die Stadt mit Unterstützung der PKK sowie einzelnen Gruppen aus
der bewaffneten syrischen Opposition und linken Internationalisten in einem
zermürbenden Häuserkampf zu halten.
In der Zwischenzeit entwickelte sich eine immense
internationale Sympathie für Kobanê, im Besonderen für die kämpfenden Frauen.
An diesem Punkt verstärkten die USA ihre Bombardements. Da Kobanê den USA erklärtermaßen
gleichgültig gewesen ist, obwohl klar war, was der Stadt und ihrem Umland
bevorsteht, stellt sich die Frage nach den Gründen für die viel zu späte
Verstärkung ihres Einsatzes. Ist der öffentliche Druck auf die USA so groß
geworden, dass sie sich gezwungen sahen, zu intervenieren? Gibt es eine
wertebasierte Übereinstimmung zwischen der Ideologie des „Westens“ und dem
emanzipatorischen Projekt in Rojava (Demokratie und Frauenrechte), wodurch die
USA unter Zugzwang gebracht werden konnten, da sie sonst einen Gesichtsverlust
und eine Delegitimierung ihrer Anti-IS-Koalition befürchten mussten? Eine
pragmatische Anpassung angesichts des öffentlichen Drucks klingt zunächst plausibel,
denn die USA könnten sogar eine Verstärkung ihrer Anti-IS-Koalition durch die
Einbindung der Selbstverteidigungskräfte Rojavas gegen den gemeinsamen Feind IS
erzielen.
Bei dieser Interpretation schwingt auch die Annahme
mit, die USA - die je nach Interessenlage diktatorische ebenso wie
demokratische Regime gestützt und dann wieder bekämpft haben, wofür ihnen jedes
Mittel recht war - könnten vor der islamistischen Gefahr stehend eine
Kehrtwende in ihrer langjährigen Politik in der Region vollziehen. Schließlich
wurden auch der IS und andere (islamistische) Milizen, die mal
unter dem Sammelbegriff Freie Syrische Armee
(FSA) agieren mal nicht, von den USA oder ihren Partnern unterstützt, solange
sie gegen die syrische Regierung kämpften [1].
Bei genauerer Betrachtung der jüngeren Ereignisse
wird klar, dass es sich bei der Annahme einer pragmatischen Anpassung um eine
folgenschwere Verkürzung handelt und eine Kehrtwende schon gar nicht ansteht. Zwar
ist denkbar, dass die USA auf öffentlichen Druck reagieren mussten. Doch warum fallen
die Bombardements so wohldosiert aus? Warum werden nicht noch mehr Waffen
geliefert und warum findet bis heute kein effektives Bombardement der Versorgungsrouten
des IS statt, der scheinbar aus einem schier unerschöpflichen Arsenal an
Kriegsgerät schöpfen und ungestört Nachschub nach Kobanê bringen kann? Warum
nutzen die USA und die andern NATO-Mitglieder nicht ihren Einfluss auf die
Türkei, damit diese ihre Strategie der Abschottung Rojavas ändert?
Weder die USA noch irgendein anderes Land haben konkrete
Schritte unternommen, um die eigentlichen Forderungen aus Rojava für die
Ermöglichung einer selbständigen Verteidigung zu erfüllen. Auf die Türkei wurde
außer inszenierten Verbalattacken keinerlei spürbarer Druck ausgeübt, einen
Korridor zu öffnen. Während bei anderen Konflikten täglich demonstriert wird, welch
breite Palette an Druckmitteln bis hin zu Sanktionen zur Verfügung steht, ist
hiervon nichts in Sicht. Warum wird das PKK-Verbot in den eigenen Ländern nicht
aufgehoben, wenn doch anerkannt wird, dass sie zusammen mit den
Selbstverteidigungskräften die eigentliche Last des Kampfes gegen den IS trägt?
Zwar herrscht weitgehende Einigkeit, dass die Türkei islamistische Milizen
unterstützt, indem sie ihnen einen Rückzugs- und Rekreationsraum anbietet, aber
auch dies bleibt vollkommen ohne Konsequenzen.
Unterdessen wird der Ruf von Asya Abdullah,
Co-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Union (PYD) in Rojava, nicht
erhört. Sie betont bei jeder Gelegenheit, dass die Verteidigungskräfte keine
fremden Kämpfer benötigen und die Öffnung eines Korridors für eigene Kräfte aus
den anderen syrisch-kurdischen Kantonen ihre primäre Forderung, noch vor der
Lieferung schwerer Waffen, darstellt. Die anderen Kräfte, so die
Co-Vorsitzende, sollten dort gegen den IS kämpfen, wo sie sich befinden, damit
würden sie Rojava genug unterstützen. Warum möchte man also den Selbstverteidigungskräften
unbedingt Peschmerga, wenn es nach der Türkei ginge sogar FSA-Einheiten aus
Aleppo aufdrängen, deren Kommandeur Akidi vor kurzem noch zur Vernichtung der Selbstverteidigungskräfte Rojavas aufgerufen hat? Wie passt es zusammen, dass die gleichen
Peschmerga, die das Wirtschaftsembargo gegen Rojava militärisch durchgesetzt und
die Grenze für Flüchtlinge aus Rojava dicht gemacht haben, nun zu Hilfe eilen
sollen?
Zwischenfazit: Den USA war Kobanê gleichgültig. Zu
einem Zeitpunkt als effektive Schläge gegen den IS möglich waren, haben sie
diese nicht durchgeführt. Die Versorgungsrouten des IS wurden die ganze Zeit
nicht effektiv bombardiert. Nachhaltiger Druck auf den NATO-Partner Türkei
blieb aus, die Partnerschaft wurde zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage
gestellt. Die Möglichkeit einer Waffenlieferung aus der Luft wurde unter Beweis
gestellt aber nicht weiter verfolgt, stattdessen wird die Hoffnung auf
Peschmerga oder FSA-Einheiten gelenkt. In der Zwischenzeit kämpfen die
Selbstverteidigungskräfte weiterhin gegen eine militärische Übermacht und
halten die Stadt. Folglich treffen sich die Abschottungspolitik der Türkei, die
sich auch gegen die PKK richtet, und die wohldosierte Hilfe der USA sowie des
Juniorpartners Irakisch-Kurdistan wieder in einer gemeinsamen Strategie, die auf
der Instrumentalisierung des IS-Angriffs fußt, um den
Selbstverteidigungskräften Rojavas Partner aufzuzwingen, die ihre Feinde sind.
Neue
kurdische Einheit in Dohuk?
Die Mitte
Oktober in der kurdisch-irakischen Stadt Dohuk stattgefundenen Verhandlungen
und die anschließenden Verlautbarungen gewähren Einblicke, wonach diese
Strategie nicht auf Kobanê begrenzt, sondern auf die Zerschlagung des gesamten
Projekts Rojava gerichtet ist. Der genaue Inhalt der Verhandlungen, an denen
Salih Müslim, der zweite Co-Vorsitzende der PYD, und Vertreter der kurdischen
Regierung im Irak teilnahmen, wurde nicht bekannt. Aus den widersprüchlichen
Aussagen, die die verhandelnden Parteien machten, lässt sich jedoch ablesen,
worum es ging.
Übereinstimmung
herrscht darin, dass es zu einer Einigung in der Aufteilung der politischen
Macht in Rojava gekommen und die „Einheit unter Kurden"
wieder hergestellt worden sei. Hintergrund ist die Rivalität zwischen der
PYD und anderen syrisch-kurdischen Parteien, die sich der Kurdisch
Demokratischen Partei (KDP) des Präsidenten der Autonomen Region Kurdistan im
Nordirak, Masud Barzani, angenähert haben. Die KDP-nahen Parteien scherten aus
einem früheren Abkommen mit der PYD aus, indem sie einseitig eine Teilnahme an
der internationalen Koalition für den Sturz der syrischen Regierung
beschlossen. Während die PYD für einen Verbleib Rojavas im syrischen Staat
eintrat und eine Organisierung der politischen Macht anhand komplizierter
Quotenregelungen, die nicht-kurdische Gruppen einbindet, und einen föderalen Aufbau
zu erreichen versuchte , traten die KDP-nahen Parteien für eine politische
Annäherung an das zentralistische und nationalistische irakische Kurdistan ein.
Sie konnten hierfür keine Mehrheit in der Bevölkerung herstellen, während die
PYD und die Selbstverteidigungskräfte ihre Basis ausbauen konnten. Auch der
Versuch, mit Unterstützung der KDP eigene bewaffnete Einheiten unabhängig von
den Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ aufzustellen und somit eine
konkurrierende militärische Befehlsstruktur zu schaffen, scheiterte am
Widerstand der PYD. Die Rivalität führte zu einem Zerwürfnis und Auszug
beziehungsweise Rauswurf dieser Parteien aus Rojava.
Die
Verhandlungen in Dohuk sollen nun ergeben haben, dass erstens ein gemeinsamer
Rat gebildet wird, der zur Hälfte von der PYD und zur anderen Hälfte von
KDP-nahen Parteien besetzt wird. Welche Funktion der Rat bekleiden soll, bleibt
unklar. Die PYD erklärte, dies müsse zuerst mit den Kantonen geklärt werden und
betreffe ohnehin nur die Kurden. KDP-nahe Quellen erklären dagegen, dieser Rat
werde die Funktion einer Zentralregierung einnehmen, die über den zu Provinzen degradierten Kantonen stehen
soll. Zweitens hätten die KDP-nahen Parteien Einwände gegen den
Gesellschaftsvertrag Rojavas angemeldet. Die Einwände wurden jedoch mit keinem
Wort spezifiziert. Drittens sei beschlossen worden, die
Selbstverteidigungskräfte durch weitere Kräfte zu ergänzen und eine neue
gemeinsame Befehlsstruktur aufzubauen. Auch zu diesem Punkt wurden keine
genaueren Angaben gemacht.
Nach den
Verhandlungen hat eine auffällige Verschiebung des PYD-Diskurses stattgefunden.
Hatte diese zuvor betont, die Verteidigungskräfte würden ausschließlich zur
Verteidigung eingesetzt, wird nun eine Beteiligung an der Anti-IS-Koalition mit
Bodentruppen außerhalb Rojavas thematisiert. Ziemlich plötzlich wird die
syrische Regierung verbal attackiert und betont, die Kurden stünden ab jetzt an
der vordersten Front der syrischen Revolution.
Koordinierte
Erpressung Rojavas
Fassen wir diese Entwicklungen zusammen. Die
Betonung einer kurdischen Einheit und die Forcierung eines kurdischen
Nationalismus entsprachen bisher nicht der Sprache der PYD. Sie entsprechen der
Selbstauffassung des irakischen Kurdistan. Die Verlautbarungen nach den
Verhandlungen in Dohuk lassen erahnen, dass echte Hilfen an Bedingungen
geknüpft sind, die die Aufgabe zentraler Bestandteile des demokratischen und
emanzipatorischen Projekts in Rojava bedeuten. Die Installierung einer
Zentralregierung bedeutete das Aus für die föderale und demokratische Selbstverwaltung.
Welche Teile des Gesellschaftsvertrags in Frage gestellt werden, lässt sich
dagegen vorläufig nur aus der strategischen Ausrichtung des irakischen
Kurdistan erschließen.
Die kurdische Regierung im Irak erhält die
Möglichkeit einen starken politischen Fuß nach Rojava zu setzen und zusätzlich die
Chance, ihr durch die Auslieferung der jesidischen Bevölkerung an den IS schwer
angekratztes Ansehen gegenüber der kurdischen als auch der westlichen
Öffentlichkeit aufzupolieren. Dass dies ausgerechnet in Kobanê passieren soll,
ist bitter für die Selbstverteidigungskräfte Rojavas und die PKK. Erst schwächt
die mit deutschen Waffen belieferte kurdische Regierung im Irak die
Selbstverteidigungskräfte in Rojava und setzt die eigene Bevölkerung schutzlos
den IS-Angriffen aus und wird nun zur Retterin Kobanês stilisiert.
Da die USA über ausreichend militärische Mittel
verfügen, der Weg frei ist und ihre Legitimation in der westlichen
Öffentlichkeit dank Kobanê so stark wie selten zuvor ist, ist ihre
Zurückhaltung bei der Unterstützung Kobanês und der Bekämpfung des IS nur dadurch
erklärbar, dass eine Befreiung durch eigene Kräfte nicht erwünscht ist.
Die wohldosierte Hilfe fügt sich demzufolge in eine koordinierte Erpressung
Rojavas zur Abkehr von der politischen Revolution und möglicherweise zur direkten
Teilnahme am Krieg gegen die syrische Regierung ein. Falls den
Verteidigungskräften nicht doch noch unerwartet ein Befreiungsschlag gelingen
sollte, sind sie zu schwerwiegenden Konzessionen genötigt.
Zu dieser Erpressung gehört anscheinend auch die
Geheimhaltung der Erpressung selbst. Hierfür spricht das Ausbleiben eines
großen Aufschreis aus der kurdischen Bewegung. Allerdings sind nun auch die
kurdisch- nationalistischen Stimmen, die sich eine Aufwertung zum international
anerkannten Akteur versprechen, lauter zu vernehmen. Der Preis für die
Protektion, die Rojava bis zum Angriff des IS nicht benötigte, ist hoch. Dass
dies sich auch auf eine Verschiebung innerhalb der Grundachsen Rojavas und der
kurdischen Bewegung auswirken wird, steht zu befürchten.
Der öffentliche Druck hat derweil merklich
nachgelassen, zumal die kurdische Bewegung sich weitgehend ausschweigt. Deutlich
ist, dass die USA ihre erneuerte Legitimation und Initiative nicht nach vorher
festgelegten Regeln und vereinbarten Zielformulierungen mit den zuvor laut
Rufenden nutzt. Linke und demokratische Anrufung landet vor den Türen der
US-Regierung und wird dort taktisch eingepasst. Zur Verschiebung ihrer Grundausrichtung,
also der langfristigen Strategie führt sie nicht. Darin besteht die folgenschwere
Illusion.
Rojava steht nun neben der nicht geringer gewordenen
Gefahr durch den IS auch vor der Gefahr einer Konterrevolution. Diese Situation
lässt die Frage nach dem kritischen Beistand und der internationalen Solidarität
neu stellen. Eine breite Solidarisierung müsste sich neben den bereits
formulierten richtigen Zielen darauf
richten, die nun anstehenden Konzessionen und ihre Auswirkungen auf das gesamte
Projekt möglichst begrenzt zu halten. Dafür ist eine informierte und
solidarische Debatte über die Bedingungen, an die die Hilfen geknüpft werden, eine
klare Sicht auf die Kräfteverhältnisse und strategischen Ziele der beteiligten
Parteien notwendig.
_____________________________
[1] Oftmals wird angeführt, die syrische Regierung
habe radikale Islamisten gewähren lassen, um „moderatere“ Kräfte zu bekämpfen.
Das erklärt jedoch nicht die unzähligen Angriffe (bspw. in Latakia, Kassab, Maalula)
auf die alawitische und christliche Zivilbevölkerung in Syrien und lässt vor
allen Dingen offen, warum so viele „Moderate“ sich samt ihrer militärischen
Ausrüstung zu „Islamisten“ transformieren konnten. Es geht hier nicht um eine
Rechtfertigung der syrischen Regierung, sondern um die Blindstellen von
Erklärungen, die eine genauere Prüfung der sich gegen Baschar al-Assad
formierenden Kräfte unterlassen.