Von Fitnat Tezerdi
Um die Presse- und Meinungsfreiheit
in der Türkei ist es extrem schlecht bestellt. Wirtschaftliche Interessen,
Zwangs(ver-)kauf von Agenturen, Sendern und Zeitungen sowie Erzwingung
regierungskonformer Berichterstattung charakterisieren das Feld. Kritik kostet
den Job und die Karriere, führt nicht selten ins Gefängnis.
Die
Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei ist beileibe kein
neues Thema. Doch zeigen die jüngsten Ereignisse, wie groß der Betroffenenkreis
inzwischen geworden ist. Die Verhaftung der Journalisten Can Dündar und Erdem
Gül, die Stürmung der Redaktion der Zeitung Zaman, die der
Gülen-Bewegung nahesteht, oder die öffentliche Entschuldigung des Showmans
Beyazıt Öztürk, weil er auf einen Zuschaueranruf empathisch reagiert hat, sind
die bekannteren Fälle.
Angriffe
auf die Presse- und Meinungsfreiheit gab es en masse: Die Büros und Wahlstände
der kurdisch-linksliberalen HDP (Demokratische Partei der Völker) wurden
vor den Wahlen im Juni 2015 etwa siebzig Mal gezielt zerstört. Wütende AKP-Anhänger randalierten mehrfach vor dem
Gebäude der Zeitung Hürriyet. Berühmt sind auch die regelmäßigen Sperren
von Twitter, Facebook, Youtube und anderen Webseiten durch die Regierung.
Solche pauschalen Sperren werden heute ergänzt durch ereignisbezogene
Nachrichtensperren, insbesondere nach Bombenanschlägen, die eine unabhängige
Information der Bevölkerung nahezu unmöglich machen.
Der
offensichtliche Druck
Der
Druck ist allgegenwärtig. Als die Lehrerin Ayşe Çelik, bei der populären
Livesendung Beyaz Show als
Zuschauerin per Telefon zugeschaltet, die Regierung für den Tod unschuldiger
Zivilisten im Osten verantwortlich machte und Frieden forderte, war sie
anschließend öffentlichen Anschuldigungen ausgesetzt, sie sei eine Terroristin
und PKK-Anhängerin. Aus ihren Aussagen ging zwar keineswegs hervor, dass sie
der PKK nahe stehen könnte. Doch ist dies in Zeiten, in denen alles außer
bedingungsloser Unterstützung der Regierung zu Terrorismus erklärt wird,
offensichtlich egal. Die anschließende öffentliche Entschuldigung des
Showmasters und seine Beteuerung, dass er der patriotische Sohn eines
Polizisten sei, zeigt die Tragweite der medialen Unterdrückung. Gegen Öztürk
und die Zuschauerin wird nun wegen Terrorpropaganda ermittelt.
Das
ist übrigens nicht das erste Mal, dass ein Moderator einen Rückzieher machen
musste. Ein weiterer berühmter Showmaster, Okan Bayülgen, war zuerst aktiver Befürworter
der Juni-Revolte und setzte dann die Bewegung mit den Worten herab: „Die jungen
Leute hatten keine Aktivitäten wie Kino, Theater oder Sportstudios […] zur
Auswahl. So entdeckten sie die Aufregung auf den Straßen. Dasselbe wäre bei
schlechtem Wetter nicht passiert.“
Staatspräsident
gegen Verfassungsgericht
Weltweite
Aufmerksamkeit erlangte das Los von Can Dündar und Erdem Gül. Spionage und
Umsturzversuch gegen die Regierung wurde den Journalisten von der für
Terrordelikte zuständigen Staatsanwaltschaft in Istanbul vorgeworfen. Sie
sollen Staatsgeheimnisse verraten haben.
Dündar
und Güls Zeitung Cumhuriyet hatte Ende Mai 2015 Indizien vorgelegt, die
auf eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an
islamistische Fundamentalisten in Syrien deuteten. Die Eröffnung eines
Gerichtsverfahrens gegen die Journalisten wurde von Oppositionellen als ein
Eingeständnis der Waffenlieferungen durch die Regierung ausgelegt. Verstärkt
wurde diese Wahrnehmung durch die persönliche Drohung von Staatspräsident
Tayyip Erdoğan, die beiden Journalisten würden einen hohen Preis zahlen. Dündar
und Gül verbrachten drei Monate im Gefängnis, bis sie durch die Entscheidung
des Verfassungsgerichts aus der Untersuchungshaft entlassen wurden. Dieser
Entscheidung folgte eine weitere Drohung des Staatspräsidenten, diesmal gegen
das Verfassungsgericht. Erdoğan stellte die Legitimation des höchsten Gerichts
in Frage und versicherte, er werde die Entscheidung weder akzeptieren noch
respektieren.
Pressefreiheit
in der Türkei? Reporter ohne Grenzen stufte das Land im Jahr 2014
auf Platz 154, hinter dem Irak (Platz 153) und gefolgt von Gambia (Platz 155)
[1]. Betrachtet man die Statistiken der letzten 12 Jahre, so rutschte die
Türkei zwischen 2004 und 2014 um ganze 56 Ranglistenplätze nach hinten. Während
der Gezi-Revolte im Juni 2013 wurden 153 Reporter von Polizisten angegriffen,
Ende 2013 waren über 60 Journalisten in Haft. Nicht selten verharren
Journalisten mehrere Jahre in Untersuchungshaft und warten auf ihr Urteil. In
den 12 Jahren der AKP-Regierung wurden 1863 Journalisten von ihren Arbeitgebern
entlassen. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weitaus höher. Viele wurden
gedrängt, selbst ihre Kündigung einzureichen.
Medienmacht
der AKP
Medien
wurden von der Regierung oder regierungsnahen Institutionen gezielt
beschlagnahmt oder aufgekauft, unliebsame Journalisten mundtot gemacht. Auf
diese Weise konnte die AKP ein ihr naturgemäß wohl gesonnenes Medienreich
schaffen.
In
einem Bericht des Stellvertretenden Vorsitzenden der Oppositionspartei CHP,
Veli Ağbaba, und der Abgeordneten Nurettin Güven, Muharrem Işık und
Özgür Özel, der in Cumhuriyet Kitapları erschienen ist, wird auf 189
Seiten anhand von 65 Erfahrungsberichten von Journalisten während der 12 Jahre
der AKP-Regierung die fehlende Pressefreiheit in der Türkei dokumentiert.
Außerdem werden die Neukonfiguration der Medienlandschaft und die Neubesetzung
der Medieneigentümer dargelegt. In Kalemi Kırılan Gazeteciler („Journalisten
mit gebrochenen Stiften“) berichten Journalisten, welcher Repression und
welchen Strapazen sie durch die Regierung ausgesetzt waren, bis sie schließlich
entlassen wurden oder im Gefängnis landeten. Darin wird Staatspräsident Erdoğan
als der eigentliche Medienboss dargestellt. Sein Sohn Bilal Erdoğan sei der
Chefredakteur von acht Zeitungen, die immer dieselben Schlagzeilen
produzierten. Die Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı sei die Pressestelle
der AKP.
Die
TMSF (Savings Deposit Insurance Fund of Turkey), eine staatliche
Institution, deren Aufgabe darin besteht, Anleger gegen Korruption und
Regelwidrigkeiten zu versichern, sei für die Buchhaltung zuständig. Die
Regierung setze die TMSF zur Gleichschaltung der Medien ein. So beschlagnahmte
die TMSF zahlreiche Fernseh- und Radiosender und Zeitungen wie Show TV, BMC, Digitürk, Sky 360, Akşam Gazetesi, Alem FM.
Das Management dieser Medien wird anschließend von Regierungskommissaren
geführt.
In
diesen Medienorganen werde die Kooperation der Mitarbeiter für eine
regierungskonforme Berichterstattung oft mit Mobbing, Androhung der Kündigung oder
zur Frühverrentung aufrechterhalten. Eine der vielen Tonbandaufnahmen, die ins
Netz sickerten, zeigt beispielsweise, wie die Regierung direkt in die
Berichterstattung des Nachrichtensenders Haberturk intervenierte (Alo Fatih). Weitere Beispiele, die aufzeigen, wie Medien zu
regierungsnahen Besitzern wechseln, sind der Kauf der Zeitung Sabah
durch den Çalık-Konzern, in dem der Schwiegersohn von Erdoğan und jetzige
Energieminister Berat Albayrak leitende Posten besetzt, sowie des
Fernsehsenders TV8 durch einen
regierungsnahen Showmaster. Dabei wurde nahezu der gesamte Mitarbeiterstab neu
besetzt.
Pinguinmedien
Die
Berichterstattung in der Türkei korreliert auch mit wirtschaftlichen
Interessen. Große Teile der Medien werden von privaten Konzernen kontrolliert,
die von der Regierung Großaufträge erhalten (wollen). Mächtige Akteure sind die
Doğan-Gruppe und der Çalık-Konzern. Der Doğan-Gruppe gehören u.a. die
Tageszeitungen Hürriyet, Radikal, Milliyet, Posta und die Fernsehsender Kanal D, Star TV und CNN-Türk. Dem
Çalık-Konzern gehören u.a. die Tageszeitung Sabah und der Fernsehsender ATV.
Beim
Bau von Erdöl-Raffinerien in Ceyhan konkurrierten Çalık und Doğan um Lizenzen.
Zunächst sollte die Doğan-Gruppe die Lizenz erhalten, doch die AKP vergab sie
dem regierungsnahen Çalık-Konzern. Die Doğan-Gruppe brüskierte anschließend die
AKP-Regierung, indem sie private Gespräche über Korruption und andere
Machenschaften veröffentlichte, die von Unbekannten verbreitet und dadurch
publik wurden. Es folgten finanzielle Sanktionen, Strafgebühren in
astronomischer Höhe und verbale Angriffe gegen die Doğan-Gruppe.
Auch
die Doğuş-Holding, der der Nachrichtensender NTV gehört, wollte ihre wirtschaftlichen Interessen nicht
gefährden. Die Holding hatte die Ausschreibung für den Bau und Betrieb des
Galataports, des zukünftigen Kreuzfahrtterminals von Istanbul erhalten und
hielt sich deshalb während der Gezi-Proteste mit kritischen Berichten zurück. Als der Funke der Juni-Revolte vom Gezi-Park
auf die ganze Türkei übersprang, es bereits erste Tote durch Polizeigewalt gab,
wurde in den Mainstream-Medien darüber nicht berichtet. Während die Proteste
explodierten, strahlte der Nachrichtensender CNN-Türk eine Dokumentation über Pinguine aus. Der Pinguin wurde
somit zum Symbol des bewussten Wegschauens der Medienkonzerne.
Diktatur
der AKP
Auf
die Frage eines Journalisten, ob er ein Diktator sei, antwortete Erdoğan im
Oktober 2015, sein Gegenüber hätte diese Frage gar nicht stellen können, wenn
er denn tatsächlich einer wäre. Dass Aykut Alp Avşar, Vorsitzender des
Jugendverbandes der Vatan Partisi
(Vaterlandspartei) in Kayseri, bereits im März 2015 verhaftet worden war, weil
er den damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan während der Gezi-Proteste einen
Diktator nannte, schien zu diesem Zeitpunkt schon wieder vergessen. Es gibt
viele solcher Fälle, wie beispielsweise die juristische Verfolgung des
Elektrikers Ersan Taş, der auf Twitter einen Parodie-Account des Bürgermeisters von Ankara, Melih Gökçek,
führte. Er bekam die rechtlichen Konsequenzen bis zum finanziellen Ruin zu
spüren.
Die
selektiven Nachrichten der regierungsnahen Medien, das Verbot der
Berichterstattung über heikle Ereignisse und der offensichtlich massive Druck
auf Journalisten verdeutlichen, dass es in der Türkei unter der AKP extrem
schlecht um die Presse- und Meinungsfreiheit bestellt ist und die damit
einhergehende Unfreiheit zunehmend diktatorische Ausmaße annimmt. Jede
oppositionelle Kraft wird physisch, finanziell und verbal angegriffen, wie die
zahlreichen Beispiele zeigen. Dennoch beharrt Ministerpräsident Davutoğlu
darauf, die Pressefreiheit in der Türkei sei garantiert.
Journalisten
geben nicht auf
Nichtsdestotrotz:
Es gibt weiterhin Journalisten, die auf die Misere aufmerksam machen und gegen
Repressalien ankämpfen. So rief die Türkische Gewerkschaft für Journalisten
(TGS) gemeinsam mit vielen weiteren journalistischen Verbänden und
Gewerkschaften eine Petition mit dem Namen „Wir wollen Freiheit für unsere Berichterstattung“ ins Leben. Auch in dieser Petition wird
darauf aufmerksam gemacht, unter welch prekären und existenzbedrohenden
Umständen Journalisten derzeit arbeiten müssen: Druck durch die Regierung,
Beschäftigung zu Hungerlöhnen, kein Kündigungsschutz, keine soziale
Absicherung, kein Schutz in Gefahrensituationen, sondern Bedrängnis und
Angriffe durch die Polizei.
Regierungskritische
Medien sind in der Türkei rar geworden und zunehmend nur noch im Internet zu
finden. Doch die Stellen in alternativen Medien sind schlecht oder gar nicht
bezahlt, Sperren der Internetmedien und einzelner Journalisten sind die Regel. Aber
es gibt weiterhin Stimmen, die kritisch über die aktuellen Geschehnisse in der
Türkei informieren, wie sendika.org, diken.com.tr, imctv.com.tr, gezite.org,
dokuz8haber.com, BirGün, siyasihaber.org
und viele andere Web-, Facebook- und Twitterseiten.