Montag, 10. August 2015

Klein, Mittel, Monopol - Polarisierungen des Kapitals in der Türkei

Von Özgür Öztürk

Die Beziehungen zwischen den Kapitalfraktionen in der Türkei sind komplexer als es das etablierte liberale Schema wiedergibt, wonach sich ein islamisch-demokratisches Kleinkapital und ein laizistisch-autoritäres Großkapital gegenüber stehen. Warum die liberalen Zuschreibungen nicht greifen, zeigt ein knapper Überblick zur Geschichte und Gegenwart des „islamischen“ Kapitals.

Viele Beobachter sprechen seit langem von einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der Bourgeoisie in der Türkei. Auf dem einen Pol wird ein pro-westliches und laizistisches Großkapital aus Istanbul platziert, auf dem Anderen ein pro-östliches und islamisches Kleinkapital aus Anatolien. Das Großkapital sei mit dem Staat verwachsen, dem es seine Monopolstellung verdanke. Die enge Beziehung zum Staat bedinge eine anti-liberale und anti-demokratische Haltung. Das Kleinkapital werde dagegen von dynamischen und aufstrebenden mittelständischen Unternehmern gebildet, die im Kern liberale und demokratische Eigenschaften aufwiesen, da sie ihren Aufstieg nicht dem Staat verdankten.

Um zu einem angemessenen Verständnis politischer Konflikte zu gelangen, ist es sicherlich unerlässlich, Polarisierungen innerhalb der Bourgeoisie zu analysieren. Indes birgt die liberale Rahmung fehlerhafte Annahmen, die auch von vielen Konservativen geteilt werden. Dem „laizistischen Großkapital“ werden alle negativen Eigenschaften zugeschrieben, die die liberale Weltauffassung mit dem Staat verbindet. Das „islamische Kleinkapital“ wird dagegen ausschließlich mit positiven Tugenden zusammengebracht. In Wahrheit besteht der hauptsächliche Unterschied zwischen den Konfliktparteien nicht in einer mehr oder weniger demokratischen Ausrichtung oder Nähe zum Staat, sondern in ihrer Größe. Solange nicht der Idee “small is beautiful” gefolgt wird, wird es schwierig, irgendwelche Tugenden zu finden, die die mittelständischen von den großen Kapitalgruppen unterscheidet.

Eine Landkarte des Kapitals

Die Frage, wie das Kapital anhand ideologischer oder politischer Charakteristika kategorisiert werden soll, ist ein bislang ungelöstes theoretisches Problem. So gibt es keine klaren Kriterien für die Zuschreibung von Attributen wie islamisch oder laizistisch für eine Firma. Im Fall Türkei wurde dieses Problem sozusagen ad hoc gelöst. Die ideologische und politische Position eines einzelnen Kapitals oder Unternehmens wird anhand der Zugehörigkeit zu einem Verband bestimmt [1].

MÜSİAD und TUSKON gelten als islamische Verbände. MÜSİAD wurde 1990 gegründet. Die Abkürzung steht für Müstakil Sanayici ve İşadamları Derneği (Verein Unabhängiger Unternehmer und Industrieller). Die Mitgliedsunternehmen wurden überwiegend nach 1980 gegründet, sind im Textil, Bau- und Nahrungsmittelsektor konzentriert und haben in der Regel weniger als 50 Beschäftigte. TUSKON ist ähnlich aufgestellt, wurde jedoch erst 2005 gegründet. Die Abkürzung steht für Türkiye İş Adamları ve Sanayiciler Konfederasyonu (Konföderation von Unternehmern und Industriellen der Türkei). TUSKON gilt als unternehmerischer Arm der islamistischen Fethullah Gülen-Gemeinschaft (oder Gülen-Bewegung), während MÜSİAD keiner einzelnen religiösen Gemeinschaft zugerechnet werden kann.

Nun erstaunt es nicht, dass der Aufstieg des „islamischen“ Kapitals mit dem Aufstieg des politischen Islam zusammenfällt, wie die Gründungsdaten der genannten Verbände bereits nahelegen. Die vom politischen Islam regierten Kommunen wurden insbesondere nach 1980 zu Vehikeln der Kapitalakkumulation (‚Anhäufung‘ von Kapital) und ermöglichten ein schnelles Wachstum der islamischen Bourgeoisie. Es gibt eine Reihe von Indizien, wonach der Einfluss der islamischen Bourgeoisie in der letzten Dekade, also in der Regierungszeit der konservativ-neoliberalen AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) weiter gestiegen ist. Als der Verband MÜSİAD 1990 gegründet wurde, waren nur acht seiner Mitglieder in der Liste der 500 größten Unternehmen der Türkei zu finden, 2007 waren es 23 und 2009 schon 31.

Obgleich es keine Daten für die Jahre nach 2009 gibt, ist das weitere Wachstum des „islamischen“ Kapitals augenfällig. Aber: Die mächtigsten Firmen sind nach wie vor nicht islamisch, sondern Mitglied des Verbands TÜSİAD. Die Mitglieder von TÜSİAD werden in der Regel als laizistisch bezeichnet. TÜSİAD ist die Abkürzung für Türk Sanayici ve İşadamları Derneği (Vereinigung Türkischer Industrieller und Geschäftsleute) und wurde 1971 gegründet. Die Vereinigung besteht überwiegend aus Firmen, deren Entstehung in die 1950er zurückgeht und die bereits in den 1970ern Monopolstellungen inne hatten [2].

Die Dominanz dieser Monopole hält bis heute an. Zum Vergleich: In der 2009er Liste der 500 größten Unternehmen hatten die Mitglieder von MÜSİAD und TUSKON einen Anteil von 7,48 Prozent am zusammengerechneten Umsatz aller 500 Unternehmen. Das ist weniger als der Umsatz des an erster Stelle geführten Unternehmens TÜPRAŞ (ehemals staatliches, seit 2005 privatisiertes Mineralöl- und Gasunternehmen), dessen alleiniger Umsatz einem Anteil von 7,56 Prozent entsprach. Die Koç Gruppe, die Mitglied von TÜSİAD ist und inklusive TÜPRAŞ fünf der zehn größten Unternehmen kontrolliert, hielt allein mit diesen fünf Unternehmen einen Anteil von 15,8 Prozent. Folglich ist der Aufstieg des „islamischen“ Kapitals nicht so beeindruckend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Verwickelte Konfliktlinien

Kommen wir nun auf die These zurück, wonach es einen Konflikt zwischen einem islamischen Kleinkapital oder Mittelstand und einem laizistischen Großkapital gibt. Zunächst ist es irreführend, das gesamte Kleinkapital als islamisch zu bezeichnen. Mehr als zehntausend kleine und mittlere Unternehmen in Anatolien sind Mitglied in TÜRKONFED (Türk Girişim ve İş Dünyası Konfederasyonu - Konföderation der türkischen Unternehmer und Geschäftswelt). Diese Konföderation ist mit TÜSİAD assoziiert. Geschäftsbeziehungen zwischen großen Unternehmen und mittleren beziehungsweise kleinen Unternehmen mittels Subunternehmer, Zulieferer- und Filialketten sind unabdinglich und machen eine Kontrolle und Führung der kleineren durch die größeren Unternehmen notwendig. Tatsächlich ist es so, dass TÜSİAD und MÜSİAD bezüglich der Kontrolle über diese Ketten miteinander konkurrieren.

Zweitens ist hervorzuheben, dass TÜSİAD zwar die großen Kapitalgruppen organisiert und die islamischen Unternehmen typischerweise klein oder mittlerer Größe sind. Allerdings fällt bei dieser Zweiteilung eine wichtige Gruppe aus der Betrachtung raus, nämlich das „konservative“ Großkapital. So wie es irreführend ist, das gesamte Kleinkapital als islamisch zu bezeichnen, ist es ebenso irreführend, das „islamische“ Kapital durchweg als klein zu bezeichnen.

Betrachten wir nun das „islamische“ Kapital (oder die islamische Bourgeoisie) etwas genauer. Wir werden sehen, dass es keine homogene Einheit bildet. Anhand von Organisationsform und Größe lässt sich eine Einteilung in vier Untergruppen vornehmen. Eine erste Gruppe besteht aus kleinen und mittleren Teilhabergesellschaften, die mit religiösen Gemeinschaften assoziiert sind. Eine zweite Gruppe besteht aus kleinen und mittleren Betrieben, die sich im Besitz von gläubigen Einzelpersonen befinden und in der Regel im Textil-, Bau- und Dienstleistungssektor aktiv sind. Über die erste Gruppe existieren nur wenige Daten aus journalistischen Recherchen. Die Betriebe aus der zweiten Gruppe sind dagegen besser erforscht. Sie sind in den letzten 30 Jahren schnell gewachsen und haben sich stark ausdifferenziert. Trotz Wachstum und Ausdifferenzierung ist die passendste Definition für das durchschnittliche Unternehmen aus dieser Gruppe nach wie vor „kleines anatolisch-islamisches Kapital“. Die Betriebe entsprechen noch am ehesten der landläufigen Vorstellung von dem „islamischen“ Kleinkapital oder dem „islamischen“ Mittelstand.

In die dritte Gruppe fallen die sogenannten Anatolischen Holdings, deren Startkapital in der Regel durch das Einsammeln von brachliegendem Kapital von Kleinsparern in den 1980er bis 1990er Jahren gebildet wurde. Kleinsparer wurden zu Hunderten oder Tausenden zu Teilhabern von rapide expandierenden Holdings, die nach Regeln des islamischen Finanzwesens operierten. Rückblickend lässt sich sagen, dass sowohl der Erfolg als auch das Scheitern dieses Geschäftsmodells darin bestand, dass es auf illegalen Methoden der Kapitalbildung beruhte. Die Anatolischen Holdings missachteten so wie auch die Refah Partisi (Wohlfahrtspartei), mit denen sie organisch verwachsen waren, die Regeln des Wettbewerbs. Die Holdings wurden bis 1997 geduldet, dann jedoch im sogenannten Prozess des 28.Februars vom Militär unter Druck gesetzt und ihr Geschäftsmodell wurde zerschlagen.

Das „konservative“ Großkapital

Während bereits die dritte Gruppe, die wieder weitgehend aufgelöst ist, nicht in das Bild eines islamischen Mittelstands passt, sprengt die vierte Gruppe nicht nur aufgrund ihrer Größe, vielmehr auch aufgrund der ideologischen Ausrichtung die Definition „islamisches“ Kapital. Im Vergleich zu den ersten drei Gruppen beruhen die Geschäfte dieser Gruppe weniger auf religiösen Regeln oder Netzwerken. Die Mitglieder der Gruppe unterhalten Beziehungen zu religiösen Gemeinschaften und Unternehmen, aber auch zu TÜSİAD. Zwei der prominentesten Mitglieder dieser Gruppe, die Unternehmer Çalık und Boydak, sind Mitglied von TÜSİAD. Einige andere sind sowohl Mitglied von TÜSİAD als auch von MÜSİAD. Der Gründungsvorsitzende von MÜSİAD (Erol Yarar) ist Sohn eines reichen Industriellen, der Mitglied von TÜSİAD war. In Ermangelung eines besseren Begriffs nenne ich diese Gruppe „konservatives Großkapital“, davon ausgehend, dass ihr Konservatismus einen bestimmten Anteil an Islamismus enthält und ordne sie trotz der genannten Einschränkungen weiterhin der Gruppe „islamisches Kapital“ zu.

Die Firmen dieser vierten Gruppe haben ebenfalls Monopolstellungen in bestimmten Produktionsbereichen inne und unterscheiden sich in diesem Punkt nicht von einem typischen TÜSİAD-Mitglied. In Abgrenzung zum Begriff „laizistisches“ Großkapital kann daher von einem „konservativen“ Großkapital gesprochen werden [3]. Diese konservative Fraktion des großen Kapitals ist ursprünglich in Kooperation mit der sogenannten laizistischen Fraktion entstanden. Ein Beispiel: Die Firma Anadolu Grubu, die der „laizistischen“ Fraktion angehört, wollte in den 1960ern in die Bierproduktion einsteigen, hatte jedoch aufgrund des Alkoholverbots im (sunnitischen) Islam Bedenken, dass die „konservative Geschäftswelt” gegen diese Geschäftsidee Stimmung machen würde. Ein Angebot von den Firmengruppen Ülker und Topbaş sorgte für Erleichterung. Die Inhaber dieser Gruppen sind zwei gleichnamige konservative Familien. Sie schlugen vor, eine gemeinsame Produktionsstätte zu gründen, womit Anadolu Grubu „konservative“ Rückendeckung bekam. Weitere Gemeinschaftsinvestitionen folgten.

Während Ülker und einige andere konservative Gruppen, deren Gründung anders als das typische islamische Unternehmen weit vor die 1980er Jahre zurückreicht, von Anfang an zum großen Kapital gehören, sind die meisten Unternehmen dieser vierten Gruppe erst im Zusammenhang mit der Neoliberalisierung aus der oben genannten zweiten Gruppe heraus entstanden. Große Firmen wie Çalık, Sanko, Boydak, Toprak und Albayrak bezeugen dies. Sie fingen in der Regel im exportorientierten Textilsektor an und expandierten von hier aus in neue Sektoren.

Ein prominentes Beispiel bildet die Çalık Gruppe, die von der Textilproduktion in den Bausektor expandierte. Die Çalık Gruppe ist auch ein hervorragendes Beispiel, wie politische Beziehungen und ökonomisches Wachstum zusammenhängen. Ahmet Çalık, der Sohn des Firmengründers, nahm nach dem Zerfall der Sowjetunion Beziehungen zum Präsidenten von Turkmenistan auf und wurde von diesem 1995 sogar zum stellvertretenden Textilminister von Turkmenistan ernannt. Es folgten die Gründung von Textilfabriken der Gruppe in Turkmenistan und diverse Bauprojekte. Die Expansion der Gruppe setzte sich in Albanien, wo sie in das Banken- und Telekommunikationsgeschäft einstieg, und in weiteren Balkanländern und dem Nahen Osten fort, wo sie insbesondere im Bausektor tätig wurde. Die AKP-Regierung unterstützte diese Aktivitäten. Tatsächlich ist Çalık wahrscheinlich das am stärksten von der AKP protegierte Unternehmen. Das Vermögen der Firma wuchs zwischen 2002 und 2008 von einer Milliarde auf 4,4 Milliarden Dollar.

Doch auch die anderen konservativen Unternehmen machten eine ähnliche Entwicklung durch. So existieren organische Beziehungen zwischen der AKP und dem „konservativen“ Großkapital. Ungefähr zehn MÜSİAD-Mitglieder waren Gründungsmitglieder der AKP und ungefähr zwanzig MÜSİAD-Mitglieder zogen bei den Parlamentswahlen 2002 als Abgeordnete der AKP ins Parlament ein. Bekannt ist auch, dass der jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zu seiner Zeit als Istanbuler Bürgermeister Teilhaber einer Distributionsfirma der Ülker Gruppe gewesen ist. Entsprechend verwundert es nicht, dass Ülker aber auch die anderen Firmen mit organischen Beziehungen zur AKP unter ihrer Regierung rapide gewachsen sind. Damit ist auch die These empirisch widerlegt, das „islamische“ Kapital sei unabhängig vom Staat gewachsen. Das „islamische“ Kapital hat insbesondere in den letzten beiden Dekaden bewiesen, dass es sehr wohl staatliche Mittel zu nutzen weiß, um zu wachsen und Kapital anzuhäufen.

Fazit

Mit dem Industrialisierungsprozess begann der schnelle Aufstieg des großen Kapitals in der Türkei. Gegen Ende der 1960er Jahre war das Monopolkapital etabliert. Reibungen zwischen den Monopolen, die sich in TÜSİAD organisierten, und kleineren Kapitalgruppen, fielen mit dem Aufstieg des politischen Islam zusammen, der sich als oppositionelle Stimme zum Monopolkapital präsentierte. Die Anatolischen Holdings der 1990er Jahre versuchten die Dominanz des Monopolkapitals zu umgehen. Dieser Versuch hatte bis zur Zerschlagung der Firmen im Jahr 1997 durch eine militärische Intervention einen gewissen Erfolg.

Dass der Islamismus als Opposition zum Monopolkapital entstand, sollte jedoch nicht verdecken, dass einige große konservative Unternehmen von Anfang an Teil des Monopolkapitals waren und mit der „laizistischen“ Bourgeoisie kooperiert haben. Die fortschreitende Integration in den Weltmarkt hat darüber hinaus eine enge Kooperation zwischen den kleineren Unternehmen Anatoliens und dem internationalen Kapital geschaffen. Niedrige Löhne und die Nähe zu neuen Märkten nach dem Zerfall der Sowjetunion stellten einen Wettbewerbsvorteil für exportorientierte kleine und mittlere Firmen dar, die mit der Zeit die Reihen des „konservativen“ Großkapitals erweiterten. Diese „konservativen“ Kapitalgruppen, die sich in den 1990ern in MÜSİAD organisierten, sind ebenfalls in Opposition zur Dominanz des „laizistischen“ Großkapitals entstanden. Doch sind sie heute selbst zum Monopolkapital aufgestiegen und haben die politische Protektion insbesondere unter der AKP erfolgreich zu nutzen gewusst. Die AKP repräsentiert insbesondere diese aufstrebenden Unternehmen. Allerdings hat die kompromisslose Umsetzung neoliberaler Maßnahmen auch dem „laizistischen“ Großkapital ein enormes Wachstum beschert.

Für die heutige Zeit kann gesagt werden, dass das „konservative“ Großkapital sich durch seine Nähe zur Regierung als wichtige Größe im Herrschaftsgefüge der Türkei etabliert hat. Dieser Prozess hat zu einigen Reibungen und Spannungen im bestehenden Gefüge geführt. Die liberale Interpretation dieser Spannungen scheitert jedoch, wie aufgezeigt, bereits an den Fakten. Sie schreibt den Konfliktparteien eine falsche Geschichte und falsche Attribute zu. Abschließend sollte ein weiterer Punkt hervorgehoben werden, der zwar nicht Gegenstand dieses Artikels ist, bei liberalen Analysen, die den Anspruch formulieren, politische Konflikte und Transformationen in der Türkei erklären zu können, jedoch beständig ausgeklammert wird. Bei allen möglichen Differenzen stimmen die politischen Präferenzen unterschiedlicher Kapitalfraktionen nämlich in einem Punkt überein: Gegenüber den LohnarbeiterInnen bilden sie eine solidarische Einheit.

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[1] Der Autor verwendet die Begriffe Kapital und Bourgeoisie oder Unternehmer zumeist synonym. Es sei jedoch angemerkt, dass die Begriffe auf unterschiedliche Abstraktionsebenen verweisen. Bourgeoisie bezeichnet einen sozialen Akteur und kann daher als handelndes Subjekt gedacht werden. Kapital bezeichnet dagegen ein soziales Verhältnis, das nicht handeln kann (Anm. d. Red.).

[2] Als Monopol wird ein Unternehmen bezeichnet, das auf einem bestimmten Markt als einziger Anbieter für ein Produkt agiert oder zumindest eine marktbeherrschende Stellung einnimmt und den Preis eines Produkts diktieren kann. Nach dem Motto “Wer zuerst kommt, mahlt zuerst” ermöglichte der rapide Industrialisierungsprozess in der Türkei einigen Firmen solche marktbeherrschenden Stellungen in Verbindung mit einer importsubstituierenden Wirtschaftspolitik, die die Förderung inländischer Produzenten und den Schutz des inländischen Marktes gegenüber ausländischer Konkurrenz beinhaltete (Anm. d. Red.).

[3] Mit Konservatismus ist ein Wertekonservatismus gemeint, der nicht unbedingt religiös dominiert sein muss. Laizismus meint dagegen eigentlich die Trennung von Staat und Religion, ganz und gar nicht jedoch in der Türkei, wo das Gegenteil vorliegt. In der Praxis sind mit Laizismus wertebasierte Präferenzen gemeint, die sich an bestimmten Idealen der bürgerlichen Aufklärung orientieren und sich gegen die Vorherrschaft religiöser Weltbilder richten. Bei etlichen aber nicht allen Mitgliedern von TÜSİAD lassen sich solche Präferenzen, die allgemein auch als west-europäisch etikettiert werden, erkennen. Hinzu kommt, dass TÜSİAD sich öfters auf der Seite des Militärs positioniert hat und letzteres gilt wiederum als laizistisch, obwohl es insbesondere mit dem Militärputsch 1980 als Hauptförderer des Islamismus aufgetreten ist. Die vielen Anführungsstriche und das Adjektiv „sogenannt“ in diesem Beitrag zeigen an, dass die Empirie sich gegenüber den landläufigen politischen Etikettierungen heftig sträubt, es an besseren Begriffen jedoch mangelt (Anm. d. Red.)


Dieser Artikel basiert auf dem Buchbeitrag des Autors „Islamist Big Bourgeoisie in Turkey”, erschienen in: Neşecan Balkan, Erol Balkan & Ahmet Öncü (2015): The Neoliberal Landscape and the Rise of Islamist Capital in Turkey. Berghahn Books Inc.

Özgür Öztürk arbeitet an der Universität Samsun, Fachbereich Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften.

Gekürzt, übersetzt und redaktionell bearbeitet von Errol Babacan.