Von Özgür
Öztürk
Die Beziehungen zwischen den
Kapitalfraktionen in der Türkei sind komplexer als es das etablierte liberale
Schema wiedergibt, wonach sich ein islamisch-demokratisches Kleinkapital und
ein laizistisch-autoritäres Großkapital gegenüber stehen. Warum die liberalen
Zuschreibungen nicht greifen, zeigt ein knapper Überblick zur Geschichte und
Gegenwart des „islamischen“ Kapitals.
Viele Beobachter sprechen seit langem
von einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der Bourgeoisie in der Türkei. Auf
dem einen Pol wird ein pro-westliches und laizistisches Großkapital aus
Istanbul platziert, auf dem Anderen ein pro-östliches und islamisches
Kleinkapital aus Anatolien. Das Großkapital sei mit dem Staat verwachsen, dem es
seine Monopolstellung verdanke. Die enge Beziehung zum Staat bedinge eine
anti-liberale und anti-demokratische Haltung. Das Kleinkapital werde dagegen von
dynamischen und aufstrebenden mittelständischen Unternehmern gebildet, die im
Kern liberale und demokratische Eigenschaften aufwiesen, da sie ihren Aufstieg
nicht dem Staat verdankten.
Um zu einem angemessenen Verständnis
politischer Konflikte zu gelangen, ist es sicherlich unerlässlich,
Polarisierungen innerhalb der Bourgeoisie zu analysieren. Indes birgt die
liberale Rahmung fehlerhafte Annahmen, die auch von vielen Konservativen geteilt
werden. Dem „laizistischen Großkapital“ werden alle negativen Eigenschaften
zugeschrieben, die die liberale Weltauffassung mit dem Staat verbindet. Das
„islamische Kleinkapital“ wird dagegen ausschließlich mit positiven Tugenden
zusammengebracht. In Wahrheit besteht der hauptsächliche Unterschied zwischen
den Konfliktparteien nicht in einer mehr oder weniger demokratischen
Ausrichtung oder Nähe zum Staat, sondern in ihrer Größe. Solange nicht der Idee
“small is beautiful” gefolgt wird, wird es schwierig, irgendwelche Tugenden zu
finden, die die mittelständischen von den großen Kapitalgruppen unterscheidet.
Eine Landkarte
des Kapitals
Die Frage, wie das Kapital anhand
ideologischer oder politischer Charakteristika kategorisiert werden soll, ist ein
bislang ungelöstes theoretisches Problem. So gibt es keine klaren Kriterien für
die Zuschreibung von Attributen wie islamisch oder laizistisch für eine Firma.
Im Fall Türkei wurde dieses Problem sozusagen ad hoc gelöst. Die ideologische
und politische Position eines einzelnen Kapitals oder Unternehmens wird anhand
der Zugehörigkeit zu einem Verband bestimmt [1].
MÜSİAD und TUSKON gelten als
islamische Verbände. MÜSİAD wurde 1990 gegründet. Die Abkürzung steht für Müstakil
Sanayici ve İşadamları Derneği (Verein Unabhängiger Unternehmer und
Industrieller). Die Mitgliedsunternehmen wurden überwiegend nach 1980 gegründet,
sind im Textil, Bau- und Nahrungsmittelsektor konzentriert und haben in der
Regel weniger als 50 Beschäftigte. TUSKON ist ähnlich aufgestellt, wurde jedoch
erst 2005 gegründet. Die Abkürzung steht für Türkiye İş Adamları ve Sanayiciler
Konfederasyonu (Konföderation von Unternehmern und Industriellen der Türkei).
TUSKON gilt als unternehmerischer Arm der islamistischen Fethullah
Gülen-Gemeinschaft (oder Gülen-Bewegung),
während MÜSİAD keiner einzelnen religiösen Gemeinschaft zugerechnet werden
kann.
Nun erstaunt es nicht, dass der
Aufstieg des „islamischen“ Kapitals mit dem Aufstieg des politischen Islam
zusammenfällt, wie die Gründungsdaten der genannten Verbände bereits nahelegen.
Die vom politischen Islam regierten Kommunen wurden insbesondere nach 1980 zu
Vehikeln der Kapitalakkumulation (‚Anhäufung‘ von Kapital) und ermöglichten ein
schnelles Wachstum der islamischen Bourgeoisie. Es gibt eine Reihe von Indizien,
wonach der Einfluss der islamischen Bourgeoisie in der letzten Dekade, also in
der Regierungszeit der konservativ-neoliberalen AKP (Partei für Gerechtigkeit
und Entwicklung) weiter gestiegen ist. Als der Verband MÜSİAD 1990 gegründet
wurde, waren nur acht seiner Mitglieder in der Liste der 500 größten
Unternehmen der Türkei zu finden, 2007 waren es 23 und 2009 schon 31.
Obgleich es keine Daten für die Jahre
nach 2009 gibt, ist das weitere Wachstum des „islamischen“ Kapitals
augenfällig. Aber: Die mächtigsten Firmen sind nach wie vor nicht islamisch,
sondern Mitglied des Verbands TÜSİAD. Die Mitglieder von TÜSİAD werden in der
Regel als laizistisch bezeichnet. TÜSİAD ist die Abkürzung für Türk Sanayici ve
İşadamları Derneği (Vereinigung Türkischer Industrieller und Geschäftsleute)
und wurde 1971 gegründet. Die Vereinigung besteht überwiegend aus Firmen, deren
Entstehung in die 1950er zurückgeht und die bereits in den 1970ern Monopolstellungen
inne hatten [2].
Die Dominanz dieser Monopole hält bis
heute an. Zum Vergleich: In der 2009er Liste der 500 größten Unternehmen hatten
die Mitglieder von MÜSİAD und TUSKON einen Anteil von 7,48 Prozent am
zusammengerechneten Umsatz aller 500 Unternehmen. Das ist weniger als der
Umsatz des an erster Stelle geführten Unternehmens TÜPRAŞ (ehemals staatliches,
seit 2005 privatisiertes Mineralöl- und Gasunternehmen), dessen alleiniger Umsatz
einem Anteil von 7,56 Prozent entsprach. Die Koç Gruppe, die Mitglied von
TÜSİAD ist und inklusive TÜPRAŞ fünf der zehn größten Unternehmen kontrolliert,
hielt allein mit diesen fünf Unternehmen einen Anteil von 15,8 Prozent.
Folglich ist der Aufstieg des „islamischen“ Kapitals nicht so beeindruckend,
wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Verwickelte
Konfliktlinien
Kommen wir nun auf die These zurück,
wonach es einen Konflikt zwischen einem islamischen Kleinkapital oder
Mittelstand und einem laizistischen Großkapital gibt. Zunächst ist es
irreführend, das gesamte Kleinkapital als islamisch zu bezeichnen. Mehr als
zehntausend kleine und mittlere Unternehmen in Anatolien sind Mitglied in
TÜRKONFED (Türk Girişim ve İş Dünyası Konfederasyonu - Konföderation der
türkischen Unternehmer und Geschäftswelt). Diese Konföderation ist mit TÜSİAD
assoziiert. Geschäftsbeziehungen zwischen großen Unternehmen und mittleren
beziehungsweise kleinen Unternehmen mittels Subunternehmer, Zulieferer- und
Filialketten sind unabdinglich und machen eine Kontrolle und Führung der
kleineren durch die größeren Unternehmen notwendig. Tatsächlich ist es so, dass
TÜSİAD und MÜSİAD bezüglich der Kontrolle über diese Ketten miteinander
konkurrieren.
Zweitens ist hervorzuheben, dass
TÜSİAD zwar die großen Kapitalgruppen organisiert und die islamischen Unternehmen
typischerweise klein oder mittlerer Größe sind. Allerdings fällt bei dieser
Zweiteilung eine wichtige Gruppe aus der Betrachtung raus, nämlich das „konservative“
Großkapital. So wie es irreführend ist, das gesamte Kleinkapital als islamisch
zu bezeichnen, ist es ebenso irreführend, das „islamische“ Kapital durchweg als
klein zu bezeichnen.
Betrachten wir nun das „islamische“
Kapital (oder die islamische Bourgeoisie) etwas genauer. Wir werden sehen, dass
es keine homogene Einheit bildet. Anhand von Organisationsform und Größe lässt
sich eine Einteilung in vier Untergruppen vornehmen. Eine erste Gruppe besteht
aus kleinen und mittleren Teilhabergesellschaften, die mit religiösen
Gemeinschaften assoziiert sind. Eine zweite Gruppe besteht aus kleinen und
mittleren Betrieben, die sich im Besitz von gläubigen Einzelpersonen befinden
und in der Regel im Textil-, Bau- und Dienstleistungssektor aktiv sind. Über
die erste Gruppe existieren nur wenige Daten aus journalistischen Recherchen. Die
Betriebe aus der zweiten Gruppe sind dagegen besser erforscht. Sie sind in den
letzten 30 Jahren schnell gewachsen und haben sich stark ausdifferenziert. Trotz
Wachstum und Ausdifferenzierung ist die passendste Definition für das
durchschnittliche Unternehmen aus dieser Gruppe nach wie vor „kleines anatolisch-islamisches
Kapital“. Die Betriebe entsprechen noch am ehesten der landläufigen Vorstellung
von dem „islamischen“ Kleinkapital oder dem „islamischen“ Mittelstand.
In die dritte Gruppe fallen die sogenannten
Anatolischen Holdings, deren Startkapital in der Regel durch das Einsammeln von
brachliegendem Kapital von Kleinsparern in den 1980er bis 1990er Jahren
gebildet wurde. Kleinsparer wurden zu Hunderten oder Tausenden zu Teilhabern
von rapide expandierenden Holdings, die nach Regeln des islamischen Finanzwesens
operierten. Rückblickend lässt sich sagen, dass sowohl der Erfolg als auch das
Scheitern dieses Geschäftsmodells darin bestand, dass es auf illegalen Methoden
der Kapitalbildung beruhte. Die Anatolischen Holdings missachteten so wie auch
die Refah Partisi (Wohlfahrtspartei), mit denen sie organisch verwachsen waren,
die Regeln des Wettbewerbs. Die Holdings wurden bis 1997 geduldet, dann jedoch
im sogenannten Prozess des 28.Februars vom Militär unter Druck gesetzt und ihr Geschäftsmodell wurde
zerschlagen.
Das „konservative“
Großkapital
Während bereits die dritte Gruppe,
die wieder weitgehend aufgelöst ist, nicht in das Bild eines islamischen
Mittelstands passt, sprengt die vierte Gruppe nicht nur aufgrund ihrer Größe, vielmehr
auch aufgrund der ideologischen Ausrichtung die Definition „islamisches“
Kapital. Im Vergleich zu den ersten drei Gruppen beruhen die Geschäfte dieser
Gruppe weniger auf religiösen Regeln oder Netzwerken. Die Mitglieder der Gruppe
unterhalten Beziehungen zu religiösen Gemeinschaften und Unternehmen, aber auch
zu TÜSİAD. Zwei der prominentesten Mitglieder dieser Gruppe, die Unternehmer Çalık
und Boydak, sind Mitglied von TÜSİAD. Einige andere sind sowohl Mitglied von TÜSİAD
als auch von MÜSİAD. Der Gründungsvorsitzende von MÜSİAD (Erol Yarar) ist Sohn
eines reichen Industriellen, der Mitglied von TÜSİAD war. In Ermangelung eines
besseren Begriffs nenne ich diese Gruppe „konservatives Großkapital“, davon
ausgehend, dass ihr Konservatismus einen bestimmten Anteil an Islamismus
enthält und ordne sie trotz der genannten Einschränkungen weiterhin der Gruppe
„islamisches Kapital“ zu.
Die Firmen dieser vierten Gruppe
haben ebenfalls Monopolstellungen in bestimmten Produktionsbereichen inne und
unterscheiden sich in diesem Punkt nicht von einem typischen TÜSİAD-Mitglied. In
Abgrenzung zum Begriff „laizistisches“ Großkapital kann daher von einem „konservativen“
Großkapital gesprochen werden [3]. Diese konservative Fraktion des großen Kapitals
ist ursprünglich in Kooperation mit der sogenannten laizistischen Fraktion
entstanden. Ein Beispiel: Die Firma Anadolu Grubu, die der „laizistischen“
Fraktion angehört, wollte in den 1960ern in die Bierproduktion einsteigen,
hatte jedoch aufgrund des Alkoholverbots im (sunnitischen) Islam Bedenken, dass
die „konservative Geschäftswelt” gegen diese Geschäftsidee Stimmung machen
würde. Ein Angebot von den Firmengruppen Ülker und Topbaş sorgte für
Erleichterung. Die Inhaber dieser Gruppen sind zwei gleichnamige konservative
Familien. Sie schlugen vor, eine gemeinsame Produktionsstätte zu gründen, womit
Anadolu Grubu „konservative“ Rückendeckung bekam. Weitere
Gemeinschaftsinvestitionen folgten.
Während Ülker und einige andere
konservative Gruppen, deren Gründung anders als das typische islamische
Unternehmen weit vor die 1980er Jahre zurückreicht, von Anfang an zum großen Kapital
gehören, sind die meisten Unternehmen dieser vierten Gruppe erst im
Zusammenhang mit der Neoliberalisierung aus der oben genannten zweiten Gruppe
heraus entstanden. Große Firmen wie Çalık, Sanko, Boydak, Toprak und Albayrak bezeugen
dies. Sie fingen in der Regel im exportorientierten Textilsektor an und
expandierten von hier aus in neue Sektoren.
Ein prominentes Beispiel bildet die Çalık
Gruppe, die von der Textilproduktion in den Bausektor expandierte. Die Çalık
Gruppe ist auch ein hervorragendes Beispiel, wie politische Beziehungen und
ökonomisches Wachstum zusammenhängen. Ahmet Çalık, der Sohn des Firmengründers,
nahm nach dem Zerfall der Sowjetunion Beziehungen zum Präsidenten von
Turkmenistan auf und wurde von diesem 1995 sogar zum stellvertretenden
Textilminister von Turkmenistan ernannt. Es folgten die Gründung von
Textilfabriken der Gruppe in Turkmenistan und diverse Bauprojekte. Die
Expansion der Gruppe setzte sich in Albanien, wo sie in das Banken- und
Telekommunikationsgeschäft einstieg, und in weiteren Balkanländern und dem
Nahen Osten fort, wo sie insbesondere im Bausektor tätig wurde. Die
AKP-Regierung unterstützte diese Aktivitäten. Tatsächlich ist Çalık
wahrscheinlich das am stärksten von der AKP protegierte Unternehmen. Das
Vermögen der Firma wuchs zwischen 2002 und 2008 von einer Milliarde auf 4,4
Milliarden Dollar.
Doch auch die anderen konservativen
Unternehmen machten eine ähnliche Entwicklung durch. So existieren organische
Beziehungen zwischen der AKP und dem „konservativen“ Großkapital. Ungefähr zehn
MÜSİAD-Mitglieder waren Gründungsmitglieder der AKP und ungefähr zwanzig MÜSİAD-Mitglieder
zogen bei den Parlamentswahlen 2002 als Abgeordnete der AKP ins Parlament ein. Bekannt
ist auch, dass der jetzige Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zu seiner Zeit
als Istanbuler Bürgermeister Teilhaber einer Distributionsfirma der Ülker
Gruppe gewesen ist. Entsprechend verwundert es nicht, dass Ülker aber auch die
anderen Firmen mit organischen Beziehungen zur AKP unter ihrer Regierung rapide
gewachsen sind. Damit ist auch die These empirisch widerlegt, das „islamische“
Kapital sei unabhängig vom Staat gewachsen. Das „islamische“ Kapital hat
insbesondere in den letzten beiden Dekaden bewiesen, dass es sehr wohl
staatliche Mittel zu nutzen weiß, um zu wachsen und Kapital anzuhäufen.
Fazit
Mit dem Industrialisierungsprozess begann
der schnelle Aufstieg des großen Kapitals in der Türkei. Gegen Ende der 1960er
Jahre war das Monopolkapital etabliert. Reibungen zwischen den Monopolen, die
sich in TÜSİAD organisierten, und kleineren Kapitalgruppen, fielen mit dem
Aufstieg des politischen Islam zusammen, der sich als oppositionelle Stimme zum
Monopolkapital präsentierte. Die Anatolischen Holdings der 1990er Jahre versuchten
die Dominanz des Monopolkapitals zu umgehen. Dieser Versuch hatte bis zur
Zerschlagung der Firmen im Jahr 1997 durch eine militärische Intervention einen
gewissen Erfolg.
Dass der Islamismus als Opposition
zum Monopolkapital entstand, sollte jedoch nicht verdecken, dass einige große
konservative Unternehmen von Anfang an Teil des Monopolkapitals waren und mit
der „laizistischen“ Bourgeoisie kooperiert haben. Die fortschreitende
Integration in den Weltmarkt hat darüber hinaus eine enge Kooperation zwischen
den kleineren Unternehmen Anatoliens und dem internationalen Kapital
geschaffen. Niedrige Löhne und die Nähe zu neuen Märkten nach dem Zerfall der
Sowjetunion stellten einen Wettbewerbsvorteil für exportorientierte kleine und
mittlere Firmen dar, die mit der Zeit die Reihen des „konservativen“
Großkapitals erweiterten. Diese „konservativen“ Kapitalgruppen, die sich in den
1990ern in MÜSİAD organisierten, sind ebenfalls in Opposition zur Dominanz des „laizistischen“
Großkapitals entstanden. Doch sind sie heute selbst zum Monopolkapital
aufgestiegen und haben die politische Protektion insbesondere unter der AKP
erfolgreich zu nutzen gewusst. Die AKP repräsentiert insbesondere diese
aufstrebenden Unternehmen. Allerdings hat die kompromisslose Umsetzung
neoliberaler Maßnahmen auch dem „laizistischen“ Großkapital ein enormes
Wachstum beschert.
Für die heutige Zeit kann gesagt
werden, dass das „konservative“ Großkapital sich durch seine Nähe zur Regierung
als wichtige Größe im Herrschaftsgefüge der Türkei etabliert hat. Dieser
Prozess hat zu einigen Reibungen und Spannungen im bestehenden Gefüge geführt. Die
liberale Interpretation dieser Spannungen scheitert jedoch, wie aufgezeigt, bereits
an den Fakten. Sie schreibt den Konfliktparteien eine falsche Geschichte und falsche
Attribute zu. Abschließend sollte ein weiterer Punkt hervorgehoben werden, der zwar
nicht Gegenstand dieses Artikels ist, bei liberalen Analysen, die den Anspruch
formulieren, politische Konflikte und Transformationen in der Türkei erklären
zu können, jedoch beständig ausgeklammert wird. Bei allen möglichen Differenzen
stimmen die politischen Präferenzen unterschiedlicher Kapitalfraktionen nämlich
in einem Punkt überein: Gegenüber den LohnarbeiterInnen bilden sie eine
solidarische Einheit.
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[1] Der Autor verwendet die Begriffe
Kapital und Bourgeoisie oder Unternehmer zumeist synonym. Es sei jedoch angemerkt,
dass die Begriffe auf unterschiedliche Abstraktionsebenen verweisen.
Bourgeoisie bezeichnet einen sozialen Akteur und kann daher als handelndes
Subjekt gedacht werden. Kapital bezeichnet dagegen ein soziales Verhältnis, das
nicht handeln kann (Anm. d. Red.).
[2] Als Monopol wird ein Unternehmen
bezeichnet, das auf einem bestimmten Markt als einziger Anbieter für ein
Produkt agiert oder zumindest eine marktbeherrschende Stellung einnimmt und den
Preis eines Produkts diktieren kann. Nach dem Motto “Wer zuerst kommt, mahlt
zuerst” ermöglichte der rapide Industrialisierungsprozess in der Türkei einigen
Firmen solche marktbeherrschenden Stellungen in Verbindung mit einer
importsubstituierenden Wirtschaftspolitik, die die Förderung inländischer
Produzenten und den Schutz des inländischen Marktes gegenüber ausländischer
Konkurrenz beinhaltete (Anm. d. Red.).
[3] Mit Konservatismus ist ein
Wertekonservatismus gemeint, der nicht unbedingt religiös dominiert sein muss.
Laizismus meint dagegen eigentlich die Trennung von Staat und Religion, ganz
und gar nicht jedoch in der Türkei, wo das Gegenteil vorliegt. In der
Praxis sind mit Laizismus wertebasierte Präferenzen gemeint, die sich an
bestimmten Idealen der bürgerlichen Aufklärung orientieren und sich gegen die
Vorherrschaft religiöser Weltbilder richten. Bei etlichen aber nicht allen
Mitgliedern von TÜSİAD lassen sich solche Präferenzen, die allgemein auch als
west-europäisch etikettiert werden, erkennen. Hinzu kommt, dass TÜSİAD sich
öfters auf der Seite des Militärs positioniert hat und letzteres gilt wiederum
als laizistisch, obwohl es insbesondere mit dem Militärputsch 1980 als
Hauptförderer des Islamismus aufgetreten ist. Die vielen Anführungsstriche und
das Adjektiv „sogenannt“ in diesem Beitrag zeigen an, dass die Empirie sich
gegenüber den landläufigen politischen Etikettierungen heftig sträubt, es an
besseren Begriffen jedoch mangelt (Anm. d. Red.)
Dieser Artikel basiert auf dem
Buchbeitrag des Autors „Islamist Big Bourgeoisie in Turkey”, erschienen in:
Neşecan Balkan, Erol Balkan & Ahmet Öncü (2015): The Neoliberal Landscape
and the Rise of Islamist Capital in Turkey. Berghahn Books Inc.
Özgür Öztürk arbeitet an der
Universität Samsun, Fachbereich Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften.