Von Ferda Koç
Die AKP verfolgt
das Ziel, sich als Kriegsmacht eines von ihr angezettelten Bürgerkriegs zu
etablieren. Die PKK ist indes offensichtlich nicht willens, eine Politik zu
verfolgen, die den Bürgerkrieg aufhalten könnte. Sie verantwortet Bombenanschläge,
bei denen selbst die kurdische Bevölkerung nicht unterscheiden kann, ob sie vom
IS oder doch von der TAK verübt wurden. Die Lösung der „kurdischen Frage“ in
der Türkei von einem „Frieden im Nahen Osten“ abhängig zu machen und dafür einen
ethnisch-konfessionellen Bürgerkrieg in der Türkei in Kauf zu nehmen, nützt
weder dem Kampf um Demokratie noch dem nationalen Befreiungskampf.
Politisch
gesehen gibt es keinen Unterschied zwischen den Bomben, die auf den Plätzen in Bagdad,
in Damaskus und im Jemen explodieren und denen, die in Diyarbakır, in Suruç,
auf dem Taksim-Platz in Istanbul oder in Kızılay in Ankara hochgehen. Politisch
und militärisch gesehen besteht auch kein Unterschied zwischen dem grausamen
Gemetzel der Kriegsmächte in Aleppo, Falludscha, Mossul und Sindschar und dem
Gemetzel und der Zerstörung in Cizre, Nusaybin, Sur und Şırnak. Der Bürgerkrieg
in der Türkei entwickelt sich als letztes Glied in einer Reihe provozierter
Bürgerkriege im Nahen Osten, die eine ethnisch-konfessionelle Gestalt angenommen
haben. Offensichtlich wird er nicht nur als ein
türkisch-kurdischer, sondern auch als ein sunnitisch-alevitischer Krieg
gestaltet.
Mehrfrontenkrieg
Unmittelbar
nach dem Anschlag der TAK – Freiheitsfalken Kurdistans – in Beşiktaş wurden
unter Rufen der AKP-Regierung nach Vergeltung Büros der HDP angegriffen. Mehr
als dreihundert leitende Mitglieder sowie zwei Abgeordnete der HDP wurden verhaftet.
Hierin zeigte sich die Entschlossenheit der AKP, die kurdische Frage auf eine „bewaffnete
Konfrontation“ einzugrenzen, obwohl die vergangenen 32 Jahre bezeugen, dass aus
einer solchen Auseinandersetzung kein Sieger hervorgeht. Doch der AKP geht es
nicht mehr um einen Sieg; sie provoziert den Bürgerkrieg, um sich als
Kriegsmacht zu etablieren. Die Führung der AKP entwirft ihre Zukunft mittels
eines türkisch-kurdischen und sunnitisch-alevitischen Bürgerkriegs, in dem sie
das politisch-militärische Zentrum der „Türken und Sunniten“ stellt. Aus diesem
Grund schürt sie die Feindschaft gegen Kurden, Aleviten und Frauen sowie gegen
eine säkulare Lebensweise.
Ihr erster
Schritt, die Türkei zum Teil des Krieges im Nahen Osten werden zu lassen, bestand
in der aktiven Mitwirkung bei der Provokation eines „Bürgerkriegs“ in Syrien.
Dies führte zur „Pakistanisierung“ der Türkei. Das Land wurde in einen
logistischen Stützpunkt für jihadistische Banden wie den IS und die Al-Nusra-Front
verwandelt. Den zweiten Schritt der AKP stellte die Verquickung der kurdischen
Frage in der Türkei mit der kurdischen Frage in Syrien dar, indem sie den IS
auf Kobanê hetzte.
Auf der
Grundlage dieser beiden Schritte wurden die Kontraguerilla, das Militär und der
gesamte Sicherheitsapparat sukzessive islamisiert. Die Speerspitzen der Kontraguerilla,
die Sonderkommandos der Polizei (PÖH) und der Gendarmerie (JÖH) sowie „autonome“
Banden, wurden zu aggressiven Verfechtern einer im Gewand des „Osmanismus“ gekleideten rassistisch-konfessionalistischen „türkisch-islamischen Synthese“. Sie schickten
sich an, mit Unterstützung der Justiz und anderer Behörden, KurdInnen, AlevitInnen
und SozialistInnen zu terrorisieren. Auf der politischen Ebene reift diese
türkisch-islamische Synthese in Form einer Koalition zwischen der AKP, der MHP und „Ergenekon“ – einem militärisch-zivilen Netzwerk
– sowie einer „Präsidialverfassung“ heran.
Die
gesellschaftliche Grundlage und die Kräfte des Bürgerkriegs in der Türkei entwickeln
sich im Zuge des Krieges im Nahen Osten. Vor unseren Augen entwickelt sich ein
„Bürgerkriegsstaat“. Gestützt wird er nicht nur von militärischen
Sicherheitseinheiten wie PÖH-JÖH, jihadistischen Banden und ihren „zivilen“ Unterstützernetzwerken,
sondern auch von privaten militärischen Unternehmen wie „SADAT“ und „zivilen“ Vorfeldorganisationen
wie die „Osmanischen Vereinigungen“, die von der Regierung gelenkt werden.
Hinzu kommen die Medientruppe der Regierung, ihre Trolle in den sozialen Medien
sowie die AKP-Justiz.
Strategie der PKK im Nahen Osten
In der Folge verließ die PKK ihre Linie, die Lage in der Türkei ins Zentrum ihrer strategischen Ausrichtung zu stellen. Fortan bestimmten die Stellungskämpfe in Syrien und im Irak über die Front in der Türkei. Die „schleierhaft“
erscheinende gegenwärtige Linie der PKK sollte in diesem Rahmen bewertet
werden. Nachdem sie den seit März 2015 anhaltenden Provokationen der AKP, einen
Krieg anzuzetteln, zunächst widerstand, nahm die PKK schließlich doch die Kriegserklärung
an. Indem sie das tat, ließ sie sich auf die Politik der AKP ein, die Türkei in
eine weitere Front des Krieges im Nahen Osten zu verwandeln. Damit
verabschiedete sie sich praktisch von der Strategie, den bewaffneten Kampf in
der Türkei aufzugeben, die Lösung der kurdischen Frage im Rahmen einer
Demokratisierung innerhalb der Türkei anzustreben und die kurdische Bewegung in
eine Bewegung zu verwandeln, die die ganze Türkei umschließt (HDP-HDK Projekt).
Dieser
Strategiewechsel machte die gesamte politisch-repräsentative Macht der
kurdischen Bewegung, die in vielen Kommunen Kurdistans die Bürgermeister und
mit der HDP die drittstärkste Partei im Parlament stellte, funktionslos.
Zugleich drängte dieser Politikwechsel Abdullah Öcalan an den Rand.
Ist die PKK mit
diesem Strategiewechsel einer Provokation durch Erdogan erlegen?
Aufgrund der
Verquickung der AKP mit den Jihadisten war sich die PKK durchaus bewusst, dass
in Syrien keine Strategie in Übereinstimmung mit der AKP möglich war. Die
Errungenschaften in Rojava über Bord zu werfen, war für die PKK unvorstellbar. Vieles weist darauf hin, dass die PKK mit dem Angriff auf Kobanê
zu der Ansicht gelangte, dass die AKP sich nicht nur vom Friedensprozess in der
Türkei abgewendet hatte, sondern auch mit ihrer Politik in Syrien zum Scheitern
verurteilt war. Anstatt auf eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses basierend
auf den Verhandlungen auf der Gefängnisinsel Imrali, auf der Abdullah Öcalan
festgehalten wird, zu drängen, entschied sich die PKK für eine Lösung im
nahöstlichen Rahmen.
Eigentlich war
die PKK schon mit der US-Invasion im Irak im Jahr 2003 zu der Feststellung
gelangt, dass sich die politischen Bedingungen im Nahen Osten zugunsten der „Kurden“
verschoben. Mit dem Bürgerkrieg in Syrien und dem Vorstoß des IS auf Mossul erhielt
die PKK die Chance, eine Führungsrolle im Nahen Osten, versinnbildlicht durch
die Kämpfe in Kobanê und dem Sindschar-Gebirge, zu erlangen. Sie entwickelte auf
verschiedenen Ebenen Beziehungen zu den drei großen Mächten – USA, Russland und
Iran –, die über den Ausgang des Bürgerkrieges in Syrien bestimmen werden.
Die Prognose
der PKK ist, dass die Niederlage der jihadistischen Kräfte in Syrien Erdoğans Herrschaft
einen tödlichen Stoß versetzen, ihn abseits des Verhandlungstischs im Nahen
Osten platzieren werden, und dass ein legaler Status für Rojava sowie die
Teilnahme an der Offensive gegen den IS im Irak die PKK zu einer anerkannten
Teilnehmerin am Prozess der politischen Neugestaltung des Irak und Syriens
machen wird. Im Lichte dieser Prognose bewertet sie den Kampf im „türkischen“
Teil von Kurdistan als eine Verlängerung der Front in Syrien.
Dass die PKK
nicht willens ist, eine Politik zu verfolgen, die den von der AKP angezettelten
Bürgerkrieg stoppen könnte, zeigt sich in den trotz großer Tragödien immer und
immer wieder von neuem gestarteten „Barrikaden-Kriegen“, die Ohnmacht und
Resignation hervorriefen, aber keine populare Unterstützung durch einen
Volksaufstand erhielten. Es zeigt sich aber auch in den Bombenanschlägen auf
ein Polizeirevier in Diyarbakır, auf Sicherheitskräfte an einer Bushaltestelle
im Zentrum von Ankara (Kızılay) und in der Nähe eines Fußballstadiums in
Istanbul (Beşiktaş), bei denen selbst die kurdische Bevölkerung nicht unterscheiden kann, ob sie vom IS oder doch von der TAK verübt wurden.
Zwar erklärt
die PKK immer wieder, die Anschläge der TAK dienten der Vergeltung, sie zielten
auf militärische Einheiten. Doch verursachen die Bombenanschläge regelmäßig den
Tod von ZivilistInnen, sie erzeugen Angst und Panik innerhalb der Bevölkerung. Steigt
der Druck aus der HDP und der demokratischen Öffentlichkeit, solche Anschläge
klar zu verurteilen, distanziert sich die PKK stärker und ergänzt, dass sie
Anschläge, bei denen ZivilistInnen zu Schaden kommen, nicht gut heiße.
Die Behauptung, die TAK sei unabhängig von der PKK, ist aber nicht glaubwürdig. Es ist allgemein anerkannt, dass die TAK Attentate verübt, zu denen sich die PKK nicht offen bekennen kann. Die PKK hat keine praktischen Schritte unternommen, um diese „Gewissheit“ zu widerlegen. Hinweise, wonach die AttentäterInnen in PKK-Camps ausgebildet werden und auf die logistische Unterstützung der PKK angewiesen sind, wurden von ihr nicht entkräftet.
Die Behauptung, die TAK sei unabhängig von der PKK, ist aber nicht glaubwürdig. Es ist allgemein anerkannt, dass die TAK Attentate verübt, zu denen sich die PKK nicht offen bekennen kann. Die PKK hat keine praktischen Schritte unternommen, um diese „Gewissheit“ zu widerlegen. Hinweise, wonach die AttentäterInnen in PKK-Camps ausgebildet werden und auf die logistische Unterstützung der PKK angewiesen sind, wurden von ihr nicht entkräftet.
Zwickmühle des Krieges
Während die PKK
die Lösung der kurdischen Frage mittels Friedensverhandlungen im Rahmen des Krieges
im Nahen Osten anvisiert, nimmt sie die Politik der AKP, den Krieg im Nahen
Osten in einen Bürgerkrieg der Türkei zu verwandeln, durchaus zur Kenntnis und
positioniert sich als eine Partei dieses Bürgerkrieges. Doch ein ethnisch-konfessioneller
Bürgerkrieg wie im Nahen Osten erzeugt eine Stimmung des
reaktionär-rassistischen Wahns, aus dem sich der von Erdoğan angeführte Faschismus
erhebt, den zu stoppen und „den Bürgerkrieg zu verhindern“, sich ein Großteil
der sozialistischen Bewegung in der Türkei verpflichtet fühlt.
Die
Sozialdemokratie hingegen betrachtet den Bürgerkrieg, basierend auf ihrem
Reflex den Staat zu schützen, als unausweichlich und positioniert sich an der „Seite
des Staates“. Dass sich der Staat bereits in einen „türkisch-sunnitischen
Bürgerkriegsstaat“ verwandelt hat, bildet die wichtigste innere Spannung, die
diese Positionierung innerhalb der Sozialdemokratie erzeugt. Die innere
Spannung paralysiert nicht nur die Sozialdemokratie, sondern versperrt zugleich
der linken Bewegung den Weg.
Kurz, wir
befinden uns wieder in einem dieser Momente, in dem die politische Schere
zwischen dem Kampf um Demokratie in der Türkei und dem nationalen Kampf des
kurdischen Volkes auseinandergeht. Bis dato hat dieses Auseinanderdriften weder
der sozialistischen Bewegung der Türkei noch der kurdischen Bewegung genutzt.
Ganz im Gegenteil: Während ein Auseinanderdriften beide Oppositionsbewegungen
schwächte, gingen sie aus einer Annäherung immer gestärkt hervor.
Diejenigen, die
diese Tatsache aufgrund der Erwartung, ein Frieden im Nahen Osten werde die
Türkei demokratisieren und zugleich den Kurden einen politischen Status bescheren,
ignorieren oder als unbedeutend hinstellen, müssen daran erinnert werden,
dass die gleichen Erwartungen an die EU-Beitrittsverhandlungen gerichtet wurden.
Da ein möglicher „Frieden im Nahen Osten“ von den hegemonialen Mächten und
imperialistischen Zentren bestimmt sein wird, sollte nicht erwartet werden, dass
dieser Prozess ein anderes Resultat als bei den EU-Beitrittsverhandlungen
hervorbringt.
Es ist keine
vernünftige Politik der PKK, die Lösung der kurdischen Frage in der Türkei von
einem Frieden im Nahen Osten abhängig zu machen und dabei einen ethnisch-konfessionellen
Bürgerkrieg auch in der Türkei in Kauf zu nehmen. Denn das Mächtegleichgewicht
in der Region, gekennzeichnet durch ein Geflecht von gegenseitigen Interessen
und Abhängigkeiten der imperialistischen Zentren (einschließlich Russlands) und
der reaktionären Staaten (Iran, Syrien und Türkei), schließt eine endgültige Niederlage
oder Ausgrenzung jeglicher in der Region präsenten Staaten aus. Es ist durchaus
möglich und auch wahrscheinlich, dass ein chronischer Bürgerkrieg, bei dem
reaktionäre Kräfte die Initiative haben, den offenen Faschismus in der Türkei
permanent macht und zum Status quo erhebt. Durchaus nicht unwahrscheinlich ist,
dass eine Türkei mit diesem Status quo gemeinsam mit den reaktionären Kräften
der Region und den imperialistischen Zentren am „Friedenstisch des Nahen Ostens“
eine Vereinbarung zum Nachteil der kurdischen Bevölkerung in der Türkei
aushandelt und sie damit zu „Leidtragenden eines politischen Status“ macht, den
die kurdische Bewegung in anderen Regionen errungen hat.
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Der Artikel
wurde von Infobrief Türkei aus dem Türkischen übersetzt. Er basiert auf den am 23.03.2016 und 13.12.2016 in sendika.org veröffentlichten Artikeln des Autors.