Mittwoch, 10. Juni 2015

Erdoğan verliert, HDP gewinnt Parlamentswahlen in der Türkei – Eine Wahlnachtanalyse

Von Murat Çakır
Die Türkei hat gewählt. Diese Parlamentswahlen stellen in der 13-jährigen AKP-Ära eine eindeutige Zäsur dar. Jetzt steht es fest: in der Türkei wird nichts mehr so sein, wie es bisher war. Das zeigte sich schon während der Wahlkampfphase. Die Entscheidung des Linksbündnisses HDP (Demokratische Partei der Völker) anstatt mit unabhängigen Kandidat_innen erstmals als Partei an diesen Wahlen teilzunehmen und gleichzeitig das Bestreben des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğans, diese Wahlen quasi zu einem Referendum für sein autoritäres Präsidialsystem umzuwandeln, hat diese Wahl zu einer Schicksalswahl gemacht.


Gegen 19:00 Uhr (MEZ), als die ersten Hochrechnungen veröffentlicht wurden, war in den sozialen Medien ein großes Aufatmen zu spüren. Es wurde deutlich: durch die Überwindung der undemokratischen 10-Prozent-Wahlhürde durch die HDP war das von Staatspräsidenten Erdoğan favorisierte Präsidialsystem endgültig passé. Die AKP (Partei der Gerechtigkeit und Aufschwung) hat ihre absolute Mehrheit verloren und ist auf ein Koalitionspartner angewiesen. AKP verliert gegenüber der Parlamentswahlen von 2011 über 9 Prozent an Zustimmung. Die HDP zieht mit knapp 13 Prozent und knapp 80 Abgeordneten in das türkische Parlament ein. Die größte Oppositionspartei, die kemalistische CHP (Republikanische Volkspartei) verliert rund 1 Prozent und kommt auf 25,1 Prozent. Die neofaschistische MHP (Partei der nationalistischen Bewegung) gewinnt rund 3 Prozent und zieht mit 81 Abgeordneten in das Parlament ein.
Das vorläufige Endergebnis (8. Juni 2015, 23:00 Uhr):
Parteien
7. Juni 2015
12. Juni 2011
22. Juli 2007
3. November 2002
i. v. H.
Sitze
i. v. H.
Sitze
i. v. H.
Sitze
i. v. H.
Sitze
AKP
40,93%
258
49,8 %
327
46,7 %
341
34,3 %
365
CHP
25,08%
132
26,0 %
135
20,9 %
112
19,4 %
177
MHP
16,38%
81
13,0 %
53
14,3 %
71
8,4 %
-
HDP
13,10%
79
-
-
-
-
-
-
Unabhängige
0,79%
-
6,6 %
35
5,2 %
26
1,0 %
8
Zusammenfassung des Wahlergebnisses und erste Bewertung
Von den insgesamt 55.649.551 Wähler_*innen gingen 45.885.623 (82,45 %) zur Wahl. Davon wurden 44.379.986 als gültige Stimmen gewertet. Somit wurden über 1,5 Millionen Stimmen als Ungültig bewertet. Zahlreiche Berichte bestätigen, dass insbesondere in den kurdischen Gebieten und in mittelanatolischen Wahlbezirken viele Stimmen als Ungültig bewertet wurden. In Zusammenhang mit den außerordentlich vielen Wahlfälschungsversuchen kann durchaus behauptet werden, dass ein großer Teil der als Ungültig bewerteten Stimmen, HDP-Stimmen sind.
In- und ausländische Wahlbeobachter sind sich einig, dass diese Parlamentswahlen als ungerecht und undemokratisch zu bezeichnen sind. Gerade die Oppositionsparteien, allen voran die HDP, hatten mit vielen Behinderungen und Schwierigkeiten zu kämpfen. Die HDP sollte mit aller Macht behindert werden. Während der gesamten Wahlkampfphase wurde die HDP das Ziel von über 160 Angriffen, 3 davon Bombenanschläge. In Adana und Mersin explodierten vor den HDP-Büros Bomben, nur durch Zufall kam niemand ums Leben. Einige Tage vor der Wahl, am 3. Juni 2015 wurde in Bingöl der Fahrer eines HDP-Busses mit 30 Kugeln regelrecht hingerichtet. Am vorletzten Tag, am Freitag, den 5. Juni 2015 explodierten 2 Bomben in Diyarbakir auf der letzten Wahlkundgebung der HDP. 3 Menschen starben, rund 350 Menschen wurden verletzt. 10 Menschen mussten die Beine amputiert werden. Durch die besonnene Haltung der HDP-Führung konnte eine Panik verhindert werden. Dass Zehntausende gleich nach den Bombenanschlägen sich diszipliniert verhalten und für die Versorgung der Verletzten Korridore geöffnet haben, zeigt m. E. die inzwischen errungene politische Reife der kurdischen Bewegung und der sie tragenden kurdischen Bevölkerung. Die Attentäter hatten Chaos und Unruhen stiften wollen, doch die Rechnung ging nicht auf. Die HDP hat in den letzten Monaten des Öfteren ihren Willen für Frieden und Demokratie zu beweisen gehabt. Schon im April 2015 konnten 13 Soldaten, die in einem, von der Armeeführung provozierten bewaffneten Auseinandersetzung verletzt wurden, nur durch die Hilfe der HDP-Anhänger_*innen aus dem Konfliktgebiet gerettet werden. In den Medien wurde darauf hingewiesen, dass die Armeeführung den Tod von Soldaten vor den Wahlen billigend in Kauf genommen habe, denn so hätte eine neue nationalistische Welle in den übrigen Landesteilen die Wahlen bestimmen können.
AKP-Der Anfang vom Ende: Die AKP hat mit 40,93% insgesamt 18.715.569 Stimmen (2011: 21.466.446) auf sich vereinigen können. Somit hat die AKP über 9 Prozent bzw. rund 2,7 Millionen Stimmen verloren. In jedem Wahlbezirk hat die AKP Stimmen verloren. Staatspräsident Erdoğan schaltete sich in den Wahlkampf ein und trotz der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Unparteilichkeit forderte er die Wähler_*innen auf, der AKP zu 400 Abgeordneten zu verhelfen. Konstruierte Eröffnungszeremonien von unfertigen bzw. längst in Betrieb genommenen staatlichen bzw. privaten Einrichtungen wurden von Erdoğan als Kundgebungen genutzt. In den letzten Wochen des Wahlkampfes wurden eigens für solche Zwecke in verschiedenen Städten Kundgebungen unter dem Titel »Der Staatspräsident trifft seine Staatsbürger« durchgeführt. In diesen Kundgebungen hat Erdoğan die Oppositionsparteien, aber insbesondere die HDP ins Visier genommen und für sein Präsidialsystem geworben. Dabei appellierte er an niedere nationalistische Instinkte und sagte u. a., »Ich vertrete die Nation. Wenn ich volle Handlungsfreiheit bekommen, kann das Land besser regiert werden. (...) Die Türkei müssen wir wie eine Aktiengesellschaft regieren. Gewaltenteilung und Verwaltungsgerichtsbarkeit verhindern dies. Wenn wir Investitionen tätigen wollen, kann irgendein Richter das verhindern. Das brauchen wir nicht. (...) Die Oppositionsparteien und die mit ihnen verbundenen illegalen Strukturen wollen den nationalen Willen verhindern. (...) Atheisten, Homosexuelle, Terroristen, das jüdische Kapital und die Feinde der Türkei ziehen am selben Strang.«
Im Kernbasis der AKP fanden diese Aussagen Zustimmung. Unterschiedliche Analysten in der Türkei sprechen davon, dass die AKP ohne die Intervention Erdoğans noch weniger Stimmen hätte bekommen können. Dabei standen der AKP der gesamte Staatsapparat und die vielen gleichgeschalteten Medien zur Verfügung. Alleine im staatlichen Fernsehen TRT wurde in einem Monat (Mai 2015) über Erdoğan 45 Stunden, über die AKP 54,5 Stunden berichtet. Über die CHP aber nur 14 Stunden, über die MHP 7,5 und über die HDP nur 3 Stunden. Ministerpräsident Davutoğlu nutzte seine Dienstflugzeuge und den sämtlichen Fuhrpark für die Wahlkampfveranstaltungen. Beamte, Lehrer_*innen und staatliche wie kommunale Beschäftigte sowie Schüler_*innen wurden landesweit verpflichtet, an AKP-Kundgebungen teilzunehmen.
Trotzdem konnten die polarisierende und zutiefst nationalistische Rhetorik Erdoğans und die von Großmacht-Allüren bestimmten Reden des Ministerpräsidenten den Stimmenverlust nicht verhindern. Im Gegenteil: die Einmischung Erdoğans in nahezu jedes Thema, seine verleumdende Art und sein Beharren auf dem autoritären Präsidialsystem hat breite Teile der Bevölkerung gegen ihn mobilisiert. Auch Teile der ehemaligen Wähler_*innen der AKP waren über seine Art irritiert. Innerhalb der Partei wurden kritische Stimmen lauter. Insbesondere der Vorgänger Erdoğans im Staatspräsidentenamt, Abdullah Gül, der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç sowie der für die Wirtschaft zuständige stellvertretende Ministerpräsident Ali Babacan zeigten offen, dass sie mit der von Erdoğan vorgegebenen Linie nicht einverstanden sind.
Zudem sorgten die Misserfolge in der Außenpolitik, die offen zu Tage getretene Unterstützung von islamistischen Terrorgruppen im Irak und Syrien sowie die Förderung von konfessionellen Konflikten für Unmut in der Bevölkerung. Die Stagnation in der Wirtschaft, die hohe Verschuldung der privaten Haushalte, soziale Probleme, die hohe Zahl von Arbeitsunfällen mit Todesfolge, allgemeine Unzufriedenheit mit der ökonomischen Lage der Beschäftigten, Lohnrückgänge führten zu Vertrauensverlusten. Auch die türkischen Kapitalfraktionen zeigten sich zunehmend unzufrieden mit der Regierungsarbeit und der, die »Stabilität« gefährdenden Gebaren Erdoğans. Obwohl das türkische Großkapital mit der Umsetzung der neoliberalen Agenda und Kapitalexportbemühungen der AKP-Regierung durchaus zufrieden waren, gab es Kritik gegenüber der polarisierenden Rhetorik Erdoğans. Dass diese Kritik nicht sehr laut geäußert wurde, hatte mit der lange anhaltenden großen gesellschaftlichen Unterstützung Erdoğans zu tun. Nun wird diese Kritik lauter werden. Es ist zu erwarten, dass »gemäßigtere« Kräfte in der AKP aufgefordert werden, das »Zepter in die Hand« zu nehmen. Wahlbeobachter äußerten am Wahlabend, dass Abdullah Gül sich vorbereitet, sich als »Retter« zu präsentieren.
Noch kann nicht vorausgesagt werden, wie eine Änderung in der AKP-Führung stattfinden wird. Aber es steht außer Frage, dass die derzeitige Führung unter Davutoğlu in der Partei mit einem gewichtigen Gegenwind zu rechnen hat. Inzwischen sprechen sogar regierungsnahe Journalisten davon, dass der erste Verlierer der Wahlen der Staatspräsident Erdoğan ist. Zwar wird Erdoğan für diese Niederlage zuerst Davutoğlu verantwortlich machen und mit vielen, ihm hörigen Abgeordneten eine Reorganisation der AKP vollziehen wollen, ob aber Erdoğan die nächsten Wochen ohne Schramme bestehen kann, ist zweifelhaft. Denn in der jetzigen Parlamentskonstellation kann die AKP ohne einen Koalitionspartner keine Regierung gründen. Möglicherweise wird Erdoğan versuchen, mit einer AKP-Minderheitsregierung Neuwahlen vorzubereiten, aber der Kitt, der die AKP zusammengehalten hat, ist nun sehr brüchig geworden.
Die Oppositionsparteien
Obwohl die CHP in den letzten Monaten mit einer auf soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Wahlprogrammatik durchaus Sympathien bekommen hat, konnte sie es nicht schaffen, sich als eine echte Alternative darzustellen. Die CHP erhielt mit 25,08 Prozent insgesamt 11.466.988 Stimmen, was gegenüber 2011 nur eine Stimmenerhöhung von knapp 320.000 Stimmen entspricht. Der Parteivorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu erhoffte mit einer Sozialrhetorik und einer »Anti-Präsidialsystem-Kampagne« die unentschlossenen Wähler_*innen für seine Partei zu gewinnen und die laizistische Wähler_*innenbasis zu konsolidieren. Aber die von Erdoğan geförderte gesellschaftliche Polarisierung und die Angst vor einem autoritären Präsidialsystem führte dazu, dass laizistische Wähler_*innen den Ausweg in der Unterstützung der HDP sahen. Insbesondere die Losung »5 Prozent für CHP nützt nicht, aber 0,5 Prozent für die HDP kann Erdoğan verhindern« hat viele CHP-Wähler_*innen zu HDP-Unterstützer_*innen verwandelt.
Nutznießer der nationalistischen Rhetorik war die neofaschistische MHP. Sie konnte nicht nur ihre Wählerbasis halten, sondern gleichzeitig von Wählerwanderungen von AKP und CHP profitieren. Die MHP bekam mit 16,40 % insgesamt 7.489.679 Stimmen und konnte gegenüber den Wahlen von 2011 rund 2 Millionen Stimmen mehr erhalten. Nach Bekanntgabe der ersten Prognosen wurden in den Fernsehsendungen von einer möglichen AKP-MHP-Koalition gesprochen, aber der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli machte in den nächtlichen Stunden klar, dass seine Partei keine Koalition wünsche. Ob die MHP dies aufrecht halten kann oder einer personell veränderten AKP doch ja sagen wird, kann erst in den nächsten Tagen gesagt werden. 
Eindeutige Gewinnerin der Wahl: HDP. Wahlforschungsinstitute waren sich lange nicht einig, ob die HDP die 10-Prozent-Hürde schaffen könnte. Lange Zeit sahen die Prognosen die HDP an der Wahlhürde. Aber die Anschläge auf die HDP in den letzten Wochen und die Möglichkeit, dass die AKP die Nutznießerin eines Parlaments ohne die HDP sein würde, hat nicht nur die kurdischen und linken Wähler_*innen, sondern auch zahlreiche laizistische Türken zur Wahl der HDP bewegt. In der erstmaligen Wahlteilnahme als Partei konnte die HDP mit 13,10 Prozent 5.989.125 Stimmen auf sich vereinigen können. 2011 war die Vorgängerpartei BDP (Partei des Friedens und der Demokratie) mit unabhängigen Kandidat_*innen angetreten und ca. 6,4 Prozent erhalten. Bei diesen Wahlen konnte die HDP ihre Stimmen quasi verdoppeln.
Eines der wichtigen Gründe für den Antritt als Partei, war das Wahlergebnis von Selahattin Demirtaş bei den Wahlen zum Staatspräsidenten am 10. August 2014. Demirtaş konnte damals mit 9,76 Prozent rund 3,9 Millionen Stimmen auf sich vereinigen (siehe Tabelle).
Wahl des Staatspräsidenten am 10. August 2014
Name
Stimmen
i. v. H.
Recep Tayyip Erdoğan
21.000.143
51,79 %
Ekmeleddin M. İhsanoğlu
15.587.720
38,44 %
Selahattin Demirtaş
3.958.048
9,76 %
Zudem konnte die HDP ein breites gesellschaftliches Bündnis in der Partei vereinigen. Im Grunde genommen geht die Idee einer Dachpartei auf die Initiative des PKK-Führers Abdullah Öcalan zurück. Öcalan konnte die kurdische Bewegung für eine Allianz mit sozialistischen und liberal-demokratischen Kräften gewinnen und schaffte dadurch, dass die Isolation der kurdischen Bewegung durchbrochen werden konnte. Mit der HDP hat sich ein breites Spektrum politischer Kräfte gebildet, die von religiös orientierten Kurd_*innen über ehemals Sozialdemokraten, Frauen-, Umwelt-, Antiglobalisierung-, Antigentrifizierungs- und LGBTTI-Aktivist_*innen bis hin zu Mitgliedern der illegalen Kommunistischen Partei der Türkei reicht. (Ordnungshalber sollte hier auf ein Artikel von Nick Brauns hingewiesen werden, der detailiert die HDP und mögliche Entwicklungen analysiert: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Tuerkei1/wahl2015.html)
Zwar wird die HDP allgemein als ein Linksbündnis bewertet, aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Um den Einfluss der AKP innerhalb der konservativen kurdischen Bevölkerung zurückzudrängen, wurden religiös-konservative Kandidat_*innen aufgestellt. In den Vordergrund wurde eine »Identitäten-Kampagne« gestellt, die sich für die Gleichberechtigung aller ethnischen wie religiösen Gruppen einsetzte. Auch die Rechte der gesellschaftlichen Minderheiten wurde betont. Mit dem Co-Parteivorsitzenden Demirtaş hatte die HDP einen Sympathieträger, der in weiten Teilen der Bevölkerung und Medien Vertrauen genoss. Gegenüber der polarisierenden Rhetorik Erdoğans setzte Demirtaş auf Besonnenheit und Hervorhebung von Forderungen nach Frieden und Demokratisierung. Eine klare Aussage gegen das Präsidialsystem verschaffte Demirtaş weitere Sympathiepunkte seitens der laizistischen Wähler_*innen.
Kommunist_*innen, Sozialist_*innen und andere Linke in der HDP sorgten dafür, dass linke Positionen im Wahlprogrammatik Platz fanden. Die friedliche Lösung der Nationalitätenfrage, Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit und einer breiten Demokratisierung wurden bestimmende Faktoren der HDP-Aussagen. Es konnte eine Brücke zu den Forderungen des »Juni Aufstandes« von 2013 hergestellt werden. Zahlreiche Aktivist_*innen unterschiedlicher Gruppen, die Teil des »Juni Aufstandes« waren, fanden als Kandidat_*Innen und Mitglieder der HDP Platz. Auch die Solidaritätswelle mit dem erfolgreichen Widerstand in Kobanê (in Rojava) konnte für einen weiteren Aufwind sorgen. Linke Parteien, wie die EMEP (Partei der Arbeit), die zwar innerhalb der HDK (Demokratischer Kongress der Völker) tätig sind, aber nicht der HDP angehören, riefen ihre Mitglieder zur Wahl von HDP auf. Auch andere sozialistische Parteien und Gruppen wie die Halk Evleri (Volkshäuser) stellten sich hinter die HDP. 
Die Verhinderung des autoritären Präsidialsystems und die Möglichkeit den herrschenden Kräften einen empfindlichen Schlag zu versetzen, somit den Friedensprozess in der kurdischen Frage zu fördern und kriegerische Pläne der AKP in Syrien zu verhindern, waren die wesentlichen Gründe für das Engagement von Kommunist_*innen, Sozialist_*innen und anderen Linken in der und für die HDP. Die Tatsache, dass Hunderttausende ehrenamtliche Wahlbeobachter_*innen, Aktivist_*innen und einzelne Wähler_*innen sich für den Schutz der Wahlurnen engagiert haben, um die HDP herum eine breite gesellschaftliche Unterstützung gebildet wurde und somit die zahlreichen Wahlfälschungsversuche noch im Keim erstickt werden konnten und nicht zuletzt, der absoluten Parlamentsmehrheit der AKP einen Riegel vorgeschoben werden konnte, ist für die Linke in der Türkei als ein großer Erfolg zu bezeichnen. Es wird in erster Linie von dem weiteren Engagement der linken Kräfte, von ihrem können, den parlamentarischen eng mit der außerparlamentarischen Kampf zu verbinden abhängen, wie sich die Oppositionsarbeit der HDP für die Türkei entwickeln wird. In den späten Stunden der Wahlnacht kann noch nicht vorausgesagt werden, wie die herrschenden Kräfte in der Türkei auf dieses Wahlergebnis reagieren werden und ob mit einer Neuwahl zurechnen ist, aber dass der Sieg der HDP einige, mit Sicherheit positive Veränderungen mit sich bringen wird. Einer dieser Veränderungen wird sein, dass die AKP-Ära heute Nacht beendet wurde. Das ist auf jeden Fall ein Grund zur Freude.
Noch bedeutet der Wahlsieg der HDP nicht, dass in der Türkei eine demokratische, linke Mehrheit an die Macht kommt. Aber dieser Wahlsieg bietet eine gute Grundlage dafür, das gebildete Linksbündnis zu erweitern und für den Kampf gegen den Neoliberalismus, gegen Krieg und neo-osmanische Ambitionen, für Demokratisierung und Frieden breite gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden. Die Hauptlast dieser Aufgabe haben sozialistische Kräfte in der kurdischen Bewegung und kommunistische, sozialistische, linke Parteien und Gruppen zu tragen haben. Die wichtigste Lehre aus diesem Wahltag ist, dass eine Linke, die es bewerkstelligt, geeint und Bündnisse bildend anzutreten, Wahlerfolge erreichen und den Herrschenden empfindliche Schläge erteilen kann. Das macht Hoffnung und Lust auf mehr.

Doch darüber und über Perspektive zu sinnieren ist noch Zeit. Jetzt sollte der HDP gratuliert werden. Auch dafür, dass wir nach 13 Jahren AKP-Regierung sagen können: heute ist ein guter Tag. Erdoğan in seine Schranken gewiesen zu haben, ist Grund genug zur Freude. Während den Widerstandstagen im Gezi Park wurde immer wieder gerufen, »Das ist der Beginn, der Kampf geht weiter!«. Diese Losung ist heute aktueller denn je.