Von Korkut Boratav
Sowohl in den
USA als auch in Europa entstehen Allianzen zwischen dem Kapital und der
extremen Rechten. Weshalb sollten sich diese nicht mit der islamistischen
Reaktion in der Türkei arrangieren können?
Einen Tag nachdem
Erdoğans favorisierte Regierung gebildet wurde, befand sich die Istanbuler
Börse, der Ort, der den Kollektivwillen des Kapitals spiegelt, in Hochstimmung.
Kurz zuvor war mit der Aufhebung der Immunität von Parlamentsabgeordneten ein
weiterer Schritt in Richtung Faschismus getan worden. Die positive Resonanz an der
Börse ist nur eines von vielen Zeichen für die faktische Allianz, in der sich das
Kapital in der Türkei mit den reaktionären Kräften befindet. Wie aber steht das
metropolitane Kapital zur anti-demokratischen Entwicklung an seiner Peripherie,
welche Haltung nehmen die Regierungen der Zentrumsländer ein?
Als der (inzwischen
zurückgetretene) britische Premierminister Cameron sagte, die Türkei werde mit
ihrem aktuellen Kurs der EU frühestens im Jahr 3000 beitreten, deuteten die
Liberalen dies optimistisch als Sorge um die Demokratie in der Türkei. Doch
schnell wurde klar, dass Camerons Äußerung im Gezerre mit Boris Johnson, dem
Ex-Bürgermeister von London und Anführer der Brexit-Kampagne, gefallen war.
Johnson hatte den von der Zeitschrift The
Spectator ausgerufenen Wettbewerb um das schmachvollste Gedicht über
Erdoğan gewonnen. Um bei der Gegnerschaft zur Türkei nicht hinter seinem
Rivalen zurückzubleiben, reagierte Cameron mit diesem Ausspruch zur
„Mitgliedschaft im Jahr 3000“. Kein Anflug demokratischer Empathie, vielmehr
ein Akt niveauloser Herabsetzung ist der Fall.
Nun denn, wie
steht es um Angela Merkel, der eigentlichen Chefin der EU, dürfen wir uns von
ihr etwas erhoffen? Ihren letzten Besuch bei Erdoğan, den sie wer weiß wie oft
getroffen hat, befand sie als „nützlich“. Die Beziehungen zwischen Deutschland
und der Türkei seien „gestärkt“ worden. Die Hoffnung, sagt man im Türkischen,
ist das Brot der Armen, in diesem Fall der Liberalen. Sie heben hervor, Merkel
habe ihre Sorge um das parlamentarische Regime in der Türkei, nach Kritik im
eigenen Land, immerhin nachträglich ausgedrückt.
Arrangement des Kapitals mit der extremen Rechten
Wann werden
unsere Liberalen die Illusion aufgeben, Europa sei eine Hochburg der
Demokratie? In Europa steht allerorten das Arrangement mit rechtsextremen bis
neofaschistischen Bewegungen auf der Tagesordnung. Sind nicht gerade erst zwei
rechtsextreme Parteien – die Front National in Frankreich und UKIP in
Großbritannien – aus den europäischen Parlamentswahlen als Gewinner
hervorgegangen? Hat nicht Norbert Hofer, der Kandidat der rechtsextremen
Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die (inzwischen wegen Unregelmäßigkeiten
für ungültig erklärte) Präsidentenwahl nur knapp mit 31.000 Stimmen und dank
der Wähler/innen im Ausland verloren? Falls er gewonnen hätte, hätte man ihm gratuliert,
und nichts weiter. Es gibt in der EU die demokratische Sorge nicht mehr, die
einst in Österreich im Jahr 2000 verhinderte, dass Haider, der damalige
Anführer der Freiheitlichen, eine Regierung bilden konnte.
Weitere
Bespiele? Ist der Putsch gegen den gewählten Präsidenten der Ukraine vor zwei
Jahren nicht durch die klare Unterstützung der USA und der EU erfolgt? Ist es
nicht dieses Paar, das die ultra-nationalistische, reaktionäre Putschregierung
mit Hilfe des IWF auf den Beinen hält?
Die Ukraine
liegt außerhalb der EU. Drum werfen wir einen Blick auf die reaktionären
Regierungen innerhalb der EU. Gibt es etwa energischen Widerspruch zu den
anti-demokratischen Maßnahmen in den beiden rechtsextrem regierten Ländern der
EU, Polen und Ungarn? Die Europäische Kommission, die als oberste Institution
des europäischen Kapitals fungiert, ist gegenüber den Maßnahmen in Polen, mit
denen das Verfassungsgericht entmachtet und die Medien der politischen
Kontrolle unterworfen worden sind, passiv geblieben. Indes machte Ungarns
Ministerpräsident Orban, der den anti-demokratischen Weg schon länger beschreitet,
im Vorhinein klar, dass er bei möglichen Sanktionen gegen Polen ein Veto einlegen
werde.
Kurz, der im
Aufstieg befindliche Rechtsextremismus ist bereits in das Wertesystem der EU
eingegangen. Das europäische Kapital versucht, diese Bewegung zu domestizieren.
Martin Wolf, ein renommierter Sprecher der Bourgeoisie, schreibt in der
Financial Times vom 26. Januar 2016, wie dies geschehen soll. Wenn sich die
heutigen „Populisten“ (also die extremen Rechten) von den anti-globalistischen
und etatistischen Einflüssen des traditionellen Sozialismus befreiten, dürften
sie das politische Zentrum besetzen. Dies läuft auf ein Arrangement mit den
nationalistischen, migrantenfeindlichen und konservativen Idealen der extremen
Rechten hinaus.
Die Aussicht
ist realistisch, die Umsetzung erfolgt Schritt für Schritt. Das große Kapital
benötigt keine weitere Steigerung der Arbeitskraftreserven innerhalb Europas. Ihre
Peripherie hält unbegrenzte Reserven bereit, während die Möglichkeiten des
Kapitalexports aus den Zentren unbeschränkt sind.
Das Kapital
heißt die extreme Rechte, die sich von traditionell linken Festlegungen auf
öffentliches Eigentum und Anti-Imperialismus fern hält, willkommen. Es hat die
Tür für Allianzen mit den reaktionären Kräften Europas geöffnet. Das verheißt
eine Verschmelzung bürgerlicher Politik mit dem Neofaschismus. Warum aber sollte
die in Europa entstehende Allianz des Kapitals mit der Reaktion sich nicht auf
den außereuropäischen Raum ausweiten? Weshalb sollte die Europäische Kommission
sich nicht mit der türkischen Reaktion arrangieren können? Ist eine
langfristige Kooperation mit der Türkei unter einer AKP, die die Arbeitskräfte diszipliniert,
dem Kapital unbegrenzte Bewegungsfreiheiten zusichert, das Land autoritär aber
stabil regiert, nicht für beide Seiten von großem Vorteil? Die Bedingungen für
diese Kooperation werden anlässlich der Asylsuchenden neu ausgehandelt, die Menschenrechte
sind kein Gegenstand des Deals.
Antrieb des islamistischen Faschismus durch die USA
Welchen Beitrag
leisten die USA? Joe Biden hat während seiner Türkei-Reise oppositionelle
Kreise getroffen sowie unterstützende Erklärungen abgegeben für die Intellektuellen,
die der Repression ausgesetzt sind. Von amerikanischer Seite vorgebrachte kritische
Äußerungen über die AKP werden immerzu in die Türkei getragen. Sie führen bei
den Liberalen regelmäßig zu großem Optimismus. Eine andere positive Erwartung
stützt sich auf den Misserfolg der Syrien-Politik von Erdoğan. Der Drang nach
einem militärischen Abenteuer im Ausland und die Hoffnung, „Assad zu schlagen
und Aleppo zu erobern“, stehen vor dem Aus. Eine Hauptader, die den islamistischen
Faschismus nährt, könnte dadurch abgeschnitten werden.
Allerdings nähert
sich die Obama-Ära, die solche Wahrnehmungen teilweise stützt, ihrem Ende. Die neue
Regierung, ob unter Donald Trump oder Hillary Clinton, wird die türkischen
Liberalen enttäuschen. Trump repräsentiert ohnehin die Allianz der
US-amerikanischen Reaktion mit dem Kapital. Es widerspricht der Natur der
Sache, dass diese Allianz den Nahoststaaten und der Türkei Demokratie bringen könnte.
Doch die mögliche Präsidentschaft von Clinton hält ein noch gefährlicheres Szenario
bereit. Als Außenministerin erwarb sie sich eine schmutzige Weste, Staatsstreiche,
wie in Honduras, kleben an ihr. Sie verantwortet eine Politik, die die Aufstände
in den arabischen Ländern in die Hände fundamentalistischer Islamisten überführt
hat. Sie trug unmittelbar dazu bei, dass die Türkei zum Knotenpunkt für Syriens
Dschihadisten geworden ist. Den Lynchmord an Gaddafi, dessen Körper nach menschenverachtenden
Misshandlungen vollkommen entstellt war, kommentierte sie mit „We came, we saw,
he died” (Wir kamen, wir sahen, er starb).
Eine von Clinton
angeführte Außenpolitik der USA verspricht noch mehr Blut, Zerstörung und
Unruhe für die Türkei, Syrien und andere Nahoststaaten. Während ihrer
Wahlkampagne hat sie Erdoğans Vorschlag zur Errichtung einer „sicheren Flugverbotszone“
in Syrien unterstützt. Sie arrangiert sich nun mit dem Ex-Präsidenten der CIA
General Petraeus, der die Al-Nusra-Front in Syrien, die dem Al-Qaida-Netzwerk
angehört, als einen potentiellen Partner ansieht. Obamas Widerwillen und
Russlands Eingreifen haben den von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei gestützten
Zustrom von Dschihadisten nach Syrien gerade erst unterbrochen. Clinton steht
für eine Wiederbelebung dieses Szenarios, ergänzt durch eine „sichere Zone“. Erdoğan
baut darauf. Es könnte zum letzten Schritt in den islamistischen Faschismus werden.
Harte Kämpfe in naher Zukunft
Sowohl in den
USA als auch in Europa entstehen Allianzen zwischen dem Kapital und reaktionären
Kräften. Dass von dort Demokratie in die Peripherien exportiert wird, ist nicht
plausibel. Das Gegenteil liegt nahe, die USA und Europa werden die
islamistische Reaktion befördern, wie es in der Türkei und im Nahen Osten bereits
der Fall ist.
Doch damit nicht
genug, die bestehenden linken Regierungen auf dem Globus sind bedroht. Der Neoliberalismus
hat im 21. Jahrhundert seinen eigenen Antagonisten hervorgebracht. Linke
Bewegungen, die die Dominanz lokaler Bourgeoisien und der imperialistischen
Zentren zugunsten der werktätigen Klassen zu begrenzen suchten, gelangten an die
Macht. Eine Reihe von Regierungen, wie in Venezuela, Brasilien, Bolivien, und
die erste Regierung von Syriza gehören dazu. Die imperialistischen Zentren verfolgen
gemeinsam mit den reaktionären Bewegungen dieser Länder das Ziel, die linken Vorbilder
einzuhegen und letztlich zu beseitigen. Der „Putsch ohne Waffen“ ist eine
weitere Methode, die zwischenzeitlich entwickelt wurde, um linken Regierungen den
Garaus zu machen.
Die werktätigen
Klassen an allen Orten dieser Welt, selbstverständlich auch in der Türkei, sind
dazu verdammt, den verhängnisvollen Allianzen Widerstand zu leisten. Dies ist
ein Ringen der Arbeit, der Demokratie und der Aufklärung. Die Macht ist
ungleich verteilt. In naher Zukunft erwarten uns harte Kämpfe.
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Prof. Korkut
Boratav ist emeritierter Wirtschaftswissenschaftler an der Ankara Universität.
Er ist Autor zahlreicher Werke zur politischen Ökonomie der Türkei und
publiziert regelmäßig in linken Journalen.
*Der Artikel
erschien zuerst in İleri Haber am 27.05.2016 und wurde von Infobrief Türkei
übersetzt.